Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Es gibt ein Zitat von Simone de Beouvoir, das längst ein Klassiker ist: „Die Vorstellung der Welt ist, wie die Welt selbst, das Produkt der Männer: Sie beschreiben sie von ihrem Standpunkt aus, den sie mit dem der absoluten Wahrheit gleichsetzen.“ Wenn man dieses Zitat ins Heute übersetzt, dann klänge es vielleicht so: In einer Welt, die immer stärker von Daten getrieben ist und über ihre Algorithmen die Gegenwart determiniert, klafft eine riesige Datenlücke in Bezug auf das Leben der Hälfte der Menschheit: den Frauen. Big Data liefert uns also im besten Wortsinne allenfalls Halbwahrheiten.
Diese Feststellung stammt von der britischen Autorin und Feministin Caroline Criado-Perez. Es wäre wunderbar, wenn man so etwas auch einmal von einem Mann zu lesen bekäme, dass nämlich immense Datenlücken gerade der Wissensgesellschaft die kontinuierliche und systematische Diskriminierung von Frauen noch immer befördern. Aber in der beauvoirschen Beschreibung des Problems ist genau das eben nicht möglich, schließlich hat es sich über die Jahrtausende in unser aller DNA eingeschrieben, den Mann als Prototyp des Menschen geschlechtsneutral zu begreifen. Wer nicht glaubt, dass das heute noch so ist, der gebe einfach nur einmal den Begriff Nationalelf in eine Internetsuchmaschine ein. Unter diesem in Bezug auf das Geschlecht unspezifischen Begriff geht es ganz selbstverständlich um die Männer, obwohl die Frauen in dieser Formation immerhin auch schon seit vier Jahrzehnten antreten. Es hat sich daran, unter geschlechtsneutralen Begriffen das Männliche zu fassen, bisher nicht wirklich viel geändert – allen Genderstudies zum Trotz. Dahinter steht noch nicht einmal böse Absicht. Gesellschaftspolitisch ist dies alles andere als trivial.
Werfen wir nun einen Blick auf den Kalender des politischen Berlins in der kommenden Woche. Am 1. März wird Bundesaußenministerin Annalena Baerbock – endlich – ihre Vorstellungen einer feministischen Außenpolitik präsentieren, auf die wir schon so lange warten. Bisher wissen wir, abgesehen von ein paar rührseligen Geschichten, nur so viel: Es soll eine Botschafterin für feministische Außenpolitik geben. Darüber hinaus sollen männliche Machtstrukturen aufgebrochen werden. Eine besondere Außenpolitik für Frauen bedeutet feministische Außenpolitik indes nicht, sie richte sich an alle Mitglieder der Gesellschaft.
So wenig die Notwendigkeit einer feministischen Außenpolitik hier in Frage gestellt wird, so enttäuschend mager klingt das, was bisher an die Öffentlichkeit gedrungen ist. Machtstrukturen aufbrechen, Frauen fördern – das ist nicht neu. Vielleicht gibt es ja dann mehr Abteilungsleiterinnen und Botschafterinnen als vorher. Die aber dienten der Sache nur, wenn sie sich ihrerseits von der – vielfach unbewussten – Vorstellung des Mannes als gesellschaftlichem Prototyp verabschiedeten. Und genau das ist eben auch bei Frauen häufig genug (noch) nicht der Fall – vor allem dann nicht, wenn sie in einem stark männlich dominierten Umfeld sozialisiert sind und es dort weit nach oben geschafft haben.
Das heißt, der Rahmen für das Vorhaben Baerbocks wäre damit viel größer als das, was sich bisher andeutet: Es geht um nicht weniger als eine umfassende Bestandsaufnahme weiblicher Soziallagen, Bedürfnisse und ihrer Selbsteinschätzung dessen. Oder anders: Es geht darum, in den Datenmengen, auf deren Basis politische Entscheidungen – sicher auch im Außenministerium – getroffen werden, die Sichtbarkeit der Frauen derart zu erhöhen, sodass sie – ganz im Sinne von Simone de Beauvoir – nicht länger immer nur in der Referenz zum männlichen Prototypen definiert werden, sondern für sich selbst. Erst wenn das in Angriff genommen wird, kann sich die Außenpolitik zu Recht feministisch nennen.