Opposition ist Mist, besonders für Kanzlerinnenwahlvereine. Was bleibt von der Union?
Opposition ist Mist, besonders für Kanzlerinnenwahlvereine. Was bleibt von der Union?
Die Gretchenfrage rund um den Globus lautet, wie die konservativen Parteien mit der radikalen Rechten halten wollen – standhalten oder aufgeben. In den USA scheint die Frage entschieden: Die Republikaner haben sich Donald Trump mit Haut und Haaren ergeben und tragen seinen nunmehr „legalen“ Staatsstreich mit. Und auch in Großbritannien sind die Tories aufgegangen in einem nationalistischen und rassistischen Amalgam. Im postkommunistischen Osteuropa haben sich die regierenden Konservativen klerikal-faschistischen und völkisch-autoritären Zwischenkriegstraditionen geöffnet und dabei auch deren Antisemitismus aufgegriffen. In Frankreich steht der vielfach mutierte Gaullismus unter dem Druck von gleich zwei Versionen der Neuen Rechten, die an eine sehr alte und üble Ideengeschichte der Gegenrevolution anknüpfen.
Damit fällt der Blick auf die europäische Christdemokratie, dieser ausdrücklichen Erneuerung der Konservativen nach dem Sündenfall ihrer Kollaboration mit dem Faschismus. Der Rheinländer Konrad Adenauer, der jüdische Elsässer Maurice Schumann, der Trentiner Alcide de Gasperi, allesamt Erben des karolingischen Kerneuropa, und ebenso ihre Partner in den Beneluxstaaten grenzten sich klar vom kompromittierten Konservatismus des 19. und frühen 20. Jahrhunderts ab: mit der aktiven Anerkennung der liberalen Demokratie, mit der Betonung einer sozialen Marktwirtschaft und der politisch-kulturellen Verwestlichung. Speziell als Vorreiter der Europäischen Gemeinschaften lösten sie damit Hoffnungen des antifaschistischen Widerstands der 1940er-Jahre ein, den sie gemeinsam mit Liberalen, Sozialisten und Kommunisten, den Todfeinden der Altkonservativen, gebildet hatten. Das katholische Element prägte sie, aber interkonfessionell beendeten sie auch das Schisma der beiden christlichen Kirchen, die sich, wenn auch wiederborstig, säkularisierten.
Es muss nicht betont werden, dass diese Konversionen nicht ohne weltanschauliche Kompromisse vonstatten gingen und personelle Kontinuitäten der „braunen“ Rechten hingenommen wurden. Viele autoritäre Traditionen waren in der christdemokratischen Rechten aufgehoben, doch genau diese Spuren verursachten ihren Niedergang seit den 1960er-Jahren, als postmaterialistische und libertäre Wertorientierungen die Staaten, die Parteien und auch die Kirchen erreichten. In Frankreich und den Beneluxstaaten verkümmerten die Christdemokraten zu Splitterparteien, in Italien stürzte die lange herrschende Democrazia Cristiana über ihre Bestechlichkeit und tauchte bei Rechtspopulisten wie der Forza Italia unter; auch in der Schweiz wurden die Christdemokraten von der beinhart rechten SVP überflügelt.
Auch die deutschen Christdemokraten mussten eine kurze Regentschaft der Sozialdemokratie unter Willy Brandt und Helmut Schmidt erleben, um dann aber als modernisierte „Volkspartei der Mitte“ ihre strukturelle Mehrheitsfähigkeit wiederzuerringen – mit dem diesbezüglich genialen Helmut Kohl, der den CSU-Rivalen Franz Josef Strauß auflaufen ließ. Der Bajuware hatte rechts von den Union keine Konkurrenz zulassen wollen, indem er den rechten Rand gleich selbst besetzte. Auf diese Weise konnten CDU/CSU 1990 ff. das einstige sozialdemokratische Herzland in der DDR erobern und nach dem weniger genialen Desaster Kohls in der Spendenaffäre mit Angela Merkel sogar eine Ostdeutsche als Parteivorsitzende einsetzen. Deren formidable Integrationsfähigkeit konstruierte eine extrabreite Mitte, in der sozialdemokratische Elemente problemlos eingebaut werden konnten. Der Kanzlerwahlverein schien wieder unbesiegbar und bildete einen deutschen Block in der Europäischen Volkspartei, während die Sozialdemokratie dem nicht nur demoskopischen Abgrund entgegentrudelte. Ähnlich erging es Postkommunisten und Sozialisten im Süden und Osten Europas.
Dabei bröckelte auch der Widerstand der gemäßigten Rechten gegen ein Arrangement mit der völkisch-autoritären Konkurrenz, die mit populistischer Propaganda in einer diffusen Netzöffentlichkeit punktete. Der Hebel war der Widerstand gegen Migration, auf dessen Welle Rechtspopulisten in Skandinavien in Regierungen eintraten, in Frankreich und Südeuropa Erpressungsmacht bekamen und von Osteuropa aus die Europäische Union in ihren normativen und institutionellen Grundfesten erschütterten. Und mit der AfD war auch in Deutschland erstmals eine nachhaltige Konkurrenz rechts von der Union entstanden, die sie speziell in Ostdeutschland zu überflügeln droht.
Das wird nun der Lackmustest (und die Gretchenfrage) für die deutsche Christdemokratie, die sich bis auf einige Abtrünnige aus der zweiten Reihe bisher immer deutlich nach rechtsaußen abgrenzte und alte (NPD, DVU) wie neue Rechtsparteien (Republikaner) marginalisieren konnte. Der neue CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat angekündigt, dort prinzipientreu zu bleiben; der Quasi-Übertritt des Vorsitzenden der CDU-Werteunion, Max Otte, und die Wahlniederlage seines Gesinnungsgenossen Hans-Georg Maaßen bieten ihm eine ideale Gelegenheit, Taten folgen zu lassen. Doch die wahre Nagelprobe kommt, wenn die AfD, in der Pandemie durch ihren politischen Nihilismus in einer heterogenen Allesverweigerer-Allianz gestärkt, in Ostdeutschland und westdeutschen Problemzonen die Vetoposition behält und vorhandene koalitions- oder duldungsbereite Kräfte nicht auf ewig Opposition bleiben wollen. Im Unterschied zu anderen Regionen haben sich die Rechten noch nicht durch Unfähigkeit blamiert. Die Lage der CDU ist insofern bedenklich, als sie im konservativen Osten ihre 1990 so eindrucksvoll gewonnene Hegemonie längst verloren hat und ohne Regierungsgesicht bedeutungslos zu werden droht. Damit würden CDU/CSU nachträglich in die gesamteuropäische Verfallsgeschichte der Christdemokratie einschwenken, die als Europäische Volkspartei auch erheblich an Gewicht verloren hat. Den durch die Extremen eingeengten Raum in der Mitte könnten Sozialliberale einnehmen.
Mit der Statuierung von Exempeln und Achtungserfolgen bei den kommenden Landtagswahlen kommt die Merz-Union nicht davon. Es zirkuliert ein Non-Paper des Parteivorstands, der eine schonungslose Aufarbeitung der Fehler im jüngsten Bundestagswahlkampf vornehmen soll, dessen desaströses Ergebnis nicht dem schwachen Kandidaten Armin Laschet oder Streitereien mit seinem nicht minder gebeutelten Kontrahenten Markus Söder zuzuschreiben ist. Denn beide haben ja nichts anderes getan, als die Litaneien der Volkspartei der Mitte anzustimmen, deren trotzige Bekräftigung das programmatische Vakuum der Union vorführen. Sogar das schon lange nicht mehr hohe „C“ wird zur Disposition gestellt, das nicht in eine zunehmend agnostisch und multireligiöse Gesellschaft passt, in der selbst treue Mitglieder die christlichen Kirchen scharenweise verlassen und höchstens ultrarechte Evangelikale mit Glaubenssätzen mobilisieren, die bei ihnen auch immer weniger religiös, dafür stärker rassistisch werden. Und mit einer neoliberalen Neuinszenierung, wie vor längerer Zeit Merz und auch Merkel 2003 sie versucht haben, würde die Union scheitern, solchen Versprechen laufen in der multiplen Krise der kapitalistischen Globalisierung doch nicht mehr viele Menschen nach.
Verjüngung, Verweiblichung und Diversifizierung bleiben leer, auch mehr Videokonferenzen und ein „linker“ Generalsekretär aus dem Osten helfen nicht, wenn der Wandel nicht programmatisch gefüllt werden kann. Aber wie?
Die Rückbindung an das christliche Abendland ist von Leuten wie Viktor Orbán und Éric Zemmour besetzt, die Bewahrung der Schöpfung ist besser aufgehoben bei einer grünen Volkspartei. Der schonungslosen Bilanz folgt noch kein attraktives Vorhaben, kein politisches Wunder wie 1945. Was bleibt, ist derzeit nur das Hoffen auf ein Scheitern der Ampel beim Krisenmanagement. Das darf man aber nicht laut sagen, denn davon wären alle Parteien gleichermaßen betroffen.