Die USA haben gewählt, die Probleme bleiben
Die USA haben gewählt, die Probleme bleiben
Die Nacht war lang, Stimmen wurden ausgezählt, Zahlen verkündet. Am Tag danach wissen wir dennoch nicht, wer im Januar Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sein wird. Was wir wissen: Selbst wenn der Name feststeht, werden die Probleme des Landes weiter ungelöst sein. Und es kommen neue Probleme hinzu. Schließlich ist der tiefe Graben, der mittlerweile sogar Familien und Freundschaften spaltet, nicht erst mit dem Amtsantritt von Donald Trump entstanden, sondern reicht Jahrzehnte zurück. Wenn ich über die Gründe für diese Spaltung nachdenke, dann kommen mir drei Bilder in den Kopf.
Das erste Bild ist die Erinnerung an meinen ersten Sondereinsatz im ARD-Studio Washington vor 28 Jahren. Bill Clinton, ein vermeintlicher Außenseiter aus Arkansas, hatte sich gegen George Bush durchgesetzt. Ich sollte eine Reportage machen über den „Wind des Wandels“. Und der war heftig. Ich lernte dabei, dass bei einem Regierungswechsel in den USA die gesamte Bürokratie ausgetauscht wird. In Deutschland bleibt genau die – bis auf die Spitzen – in ihren Büros sitzen. In den USA läuft das radikaler ab: Direkt neben dem Weißen Haus steht das große „Old Executive Building“, wo alle Mitarbeiter der jeweiligen Regierung arbeiten, die im beengten Weißen Haus keinen Platz haben. Bei einem Wechsel werden deren Büros besenrein übergeben, ein echter Kehraus.
Was ich mit dieser Erinnerung sagen will: Der Anspruch, alles grundlegend anders zu machen, gehört zum politischen Selbstverständnis der USA. Dazu passt, dass sich neue Bewerber um das Präsidentenamt immer als Außenseiter darstellen. Das haben alle so gemacht, ob sie Reagan, Carter, Clinton oder Trump hießen. Sie alle betonten als Kandidat, dass sie nicht zum politischen Establishment gehörten. Sie betonten, dass sie aus der Provinz (außer Trump) kommen, nicht aus den Großstädten. Und sie alle wetterten gegen Washington. Natürlich waren sie spätestens nach ihrer Wahl sehr schnell „Insider“, aber mein Punkt ist ein anderer: Das Misstrauen gegen großstädtische Eliten gehörte schon immer zum Erbgut des Landes.
Dazu passt das zweite Bild, das mir heute in den Kopf kommt: eine Landkarte der Vereinigten Staaten auf der Website der New York Times. Die Küsten und einige Punkte sind blau gefärbt – das sind die liberaler gesinnten urbanen Regionen, wo es traditionell mehr Wähler der Demokraten gibt. Weite Flächen im Landesinneren sind rot und damit fest in der Hand der Republikaner. Wenn politisch interessierte Deutsche über die jüngsten Entwicklungen in den USA den Kopf schütteln, dann sind das meistens Großstädter, die New York oder Kalifornien zu kennen glauben. Im Grunde ein Spiegelbild der US-Eliten. Aber die politische Kultur der USA ist von der Provinz geprägt. Und das wollten die Gründungsväter auch genauso. Deshalb bevorzugt das Wahlsystem eben nicht die Ballungszentren. Man wollte sich von den monarchischen Zuständen Europas abgrenzen.
Schließlich ein drittes Bild: die Medien in den USA, die genau wie die Landkarte rot oder blau eingefärbt sind. Bis auf wenige Ausnahmen bedienen sie nur noch Teilöffentlichkeiten und bringen ihr Publikum nicht zum Nachdenken, sondern bestätigen deren Vorlieben. Das wäre aber wichtig, um das gesamte Meinungsspektrum zu zeigen und den Menschen so zu ermöglichen, über ihre eigene Lebenswirklichkeit hinauszuschauen.
Ein letzter Punkt: Auch bei uns gibt es Angriffe auf die Zivilgesellschaft. Aber wir haben eine vielfältige Medienlandschaft, und dazu gehört ein starker und unabhängiger öffentlich-rechtlicher Rundfunk. Darauf bin ich stolz und gleichzeitig erschrocken, wie schnell eine solche Kultur verloren gehen kann. Ich wünsche mir, dass wir in Deutschland diese Errungenschaften beschützen und uns trotz aller Meinungsverschiedenheiten mit Respekt und auf Augenhöhe begegnen. Und ich wünsche mir, dass die Vereinigten Staaten ihre Gräben überwinden und die Offenheit und Toleranz wiederfinden, für die ich sie immer bewundert habe.