Schwanenseher

Jetzt aber wirklich: Deutschland braucht einen besseren Katastrophenschutz

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DPA | LENNART STOCK
Bau auf, bau auf, Technisches Hilfswerk, bau auf! Für ein bessres Impfzentrum richten wir die Heimat auf!
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DPA | LENNART STOCK
Bau auf, bau auf, Technisches Hilfswerk, bau auf! Für ein bessres Impfzentrum richten wir die Heimat auf!

Schwanenseher

Jetzt aber wirklich: Deutschland braucht einen besseren Katastrophenschutz

Hätte die Bundesregierung für das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) ein Wappentier zu vergeben, es wäre vielleicht ein „Schwarzer Schwan“ geworden. Jene Vogelgattung, die der US-Finanzmathematiker Nassim Nicholas Taleb zu einer Metapher für extrem unwahrscheinlich auftretende Ereignisse mit äußerst gravierenden Konsequenzen deklariert hat. Lange schien man in der Politik an solche Unwahrscheinlichkeiten geglaubt zu haben, auch aus Bequemlichkeit. Seit einem Jahr erfährt Deutschland in der Corona-Pandemie schmerzlich, was passieren kann, wenn man nicht vorbereitet ist.

Nach den Plänen der Bundesregierung soll es nun ein neugeordneter Bevölkerungsschutz richten, um solche „Schwarze Schwäne“ rechtzeitig zu domestizieren und Krisenlagen besser zu managen. Diese Woche stellte Bundesinnenminister Horst Seehofer gemeinsam mit dem neuen BBK-Präsidenten Armin Schuster ein entsprechendes Konzept zur Neuausrichtung des Bundesamtes vor.

Damit Deutschland auf Dürren, Cyberangriffe und Gesundheitskrisen wie die Corona-Pandemie künftig besser vorbereitet ist, soll seine Behörde mehr Aufgaben übernehmen. Ziel sei es, die Länder und das Bundesgesundheitsministerium beim Krisenmanagement sowie bei der Schaffung nationaler Reserven stärker zu unterstützen. Doch ein großer Wurf ist das nicht, denn es behebt nicht das strukturelle Grunddilemma einer fehlenden Risiko- und Sicherheitskultur von Staat und Politik.

Zu lange haben sich Bund und Länder auf die Unwahrscheinlichkeit bestimmter Katastrophenszenarien und ein unbedarftes Sicherheitsgefühl nach dem Ende des Kalten Krieges verlassen. Für die risikoaverse Politik in unserem Land diente der „Schwarze Schwan“ lange als gute Ausrede dafür, angesichts des angeblich Undenkbaren lieber einer Maxime der Unbekümmertheit im tagespolitischen Trott zu folgen. Vorausschauendes Risikomanagement? Doch nicht gleich den Teufel an die Wand malen. Das würde das bundesrepublikanische Wohlfühlmodell nur unnötig verunsichern.

Bis die Corona-Pandemie mit voller Wucht einschlug. Die fehlende Risikovorsorge und eine kaum ausgeprägte Resilienzfähigkeit haben Bund, Länder und ihre überregulierte und dysfunktionale Staatsbürokratie vor den Offenbarungseid gestellt. Man fragt sich schon, was eigentlich in all den Jahren die vielen Beauftragten für den Bürokratieabbau gemacht haben? Die Folgen sind schwerwiegend: Auch nach einem Jahr paralysiert der Pandemie-Dauerkrisenzustand die Bundesrepublik. Noch schlimmer: Es hat zu einem massiven Vertrauensverlust in die Handlungsfähigkeit von Politik und Staat geführt. So wurden, wie es der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Münchener Rück, Nikolaus von Bomhard, einmal treffend kritisierte, aus menschlichem Versagen höhere Gewalt, aus Leichtsinn Pech und aus Verantwortungslosigkeit Schicksal.

Man war gewarnt. Das BBK hatte schon vor vielen Jahren in Übungsszenarien eine klare Vorstellung davon, welche Folgen eine solche Pandemie haben kann. Genauso die 2015 unverständlicherweise vom damaligen Innenminister Thomas de Maizière aufgelöste Schutzkommission des Bundes, die bereits 2012 vorausschauend den inzwischen vielfach zitierten Pandemie-Vorsorgeplan verfasste. Gelesen wurde er allenfalls von Experten, ansonsten mit freundlichem Desinteresse der Politik bedacht. Die Überraschung: Pandemien sind kein „Schwarzer Schwäne“, sondern haben eine statistische Wiederkehrperiode von weniger als 25 Jahren, wie etwa die Beispiele Ebola oder die erste sogenannte „Vogelgrippe“ 2006 zeigten.

Auch nach dem Pandemie-Ausbruch kam man nicht auf die Idee, die Kompetenzen des BBK abzurufen – diverse Krisenstäbe in Bund und Ländern haben diese Aufgabe übernommen und ein beispielloses Kompetenzwirrwarr produziert. Eine koordinierende Rolle des BBK wäre hilfreich gewesen. Dies resultiert auch aus einem nicht mehr zeitgemäßen staatsrechtlichen Verständnis. Der Bund hat nur die Aufgabe, die Bevölkerung vor kriegsbedingten Gefahren zu schützen. Für den Schutz vor großen Unglücken und Katastrophen in Friedenszeiten sind dagegen die Länder zuständig – eine Karte, die stets mit großer Verve in den Ministerpräsidentenkonferenzen ausgespielt wird.

Was sind nun die Folgen? Der Bevölkerungsschutz muss institutionell gestärkt und die 2015 aufgelöste Schutzkommission neu aufgelegt werden, verbunden mit der Pflicht, die Prognosen einmal im Jahr im Bundestag zu debattieren. Im gleichen Zuge muss der Bundesssicherheitsrat zu einem Nationalen Sicherheitsrat ausgebaut werden, der potenzielle Gefahren und Risiken vorausschauend erfasst sowie über interdisziplinäre Risikomanagement-Kompetenzen verfügt. Politik denkt und ist häufig noch linear und kurzfristig. Insbesondere exponentielle Verläufe wie der Klimawandel oder die Pandemie sind abstrakt, sind erst langsam, dann so beschleunigt, dass die Politik nicht mehr rechtzeitig reagieren kann.

Der Bevölkerungsschutz der Zukunft beruht auf Pragmatismus von Staat und einer entbürokratisierten Verwaltung, in der öffentlich-private Partnerschaften die Lücken der staatlichen Daseinsvorsorge im Katastrophenfall füllen. Das derzeitige Impf-Chaos zeigt, Staat und Verwaltung haben sich in ihrer Selbstgefälligkeit völlig verhoben. Sie brauchen dringend Hilfe – von denen, die über Kompetenzen bei der Beschaffung, Bereitstellung, Logistik, Planung und dem Management von Großprojekten verfügen, seien es Logistikkonzerne, Pharmafirmen oder die Bundeswehr.

Was in den USA (inzwischen!) gelingt, müsste künftig auch in Deutschland möglich sein. Die operative Umsetzung der Impfbeschaffung unterliegt dort nicht dem Gesundheitsminister, sondern einem General und Logistikexperten der US-Streitkräfte. Politik, Pharma-Unternehmen und Militär bündeln hocheffizient ihre Kompetenzen. Das Zusammenspiel von Staat und Wirtschaft entfaltet in den USA seine Wirkung: Vier Millionen Impfdosen pro Tag werden landesweit verimpft, während Deutschland mit aktuell rund 230 000 täglichen Impfungen deutlich im Rückstand ist.

Bevölkerungs- und Katastrophenschutz schien lange ein Nischenthema zu sein. Die Aussicht, darüber im Herbst die Bundestagswahl verlieren zu können, sollte die Parteien der Großen Koalition zum Handeln treiben. Jetzt aber wirklich.

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