Vor dem nächsten Kandidatenfrühstück? Die Entscheidungsschlacht in der Union
Vor dem nächsten Kandidatenfrühstück? Die Entscheidungsschlacht in der Union
Ein solches Schauspiel hat die Republik noch nicht erlebt: Ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl liefern sich die Bundeskanzlerin und der CDU-Parteichef einen Machtkampf auf offener Bühne – und all das in der wohl tiefsten Krise in der Geschichte der Bundesrepublik.
Nach ihrer historischen Bitte um Verzeihung für die gescheiterte Osterruhe geht Angela Merkel am vergangenen Sonntag bei „Anne Will“ in die Offensive. Die Kanzlerin macht klar, dass sie nicht bereit ist, einer Eskalation der Coronakrise tatenlos zuzusehen. Und dabei nimmt sie ganz bewusst den Konflikt mit Armin Laschet als dem größten Lockerungsbefürworter in Kauf.
Zwei Interessen prallen dort brutal aufeinander: Laschets unbedingter Wille zur Kanzlerkandidatur und Merkel ebenso großer Wille zur Verteidigung ihres politischen Erbes. Denn Merkel weiß ganz genau: Das Urteil über ihre Regierungszeit steht und fällt nicht zuletzt mit der Bewältigung der Coronakrise. Sie selbst hat mit ihrem Versprechen eines Impfangebots für alle bis zum 21. September, also fünf Tage vor der Bundestagswahl, das Ende ihrer Kanzlerschaft mit der Bewältigung der Corona-Krise verknüpft.
Dieses Ziel will sie sich auch nicht durch das Verhalten des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten gefährden lassen – immerhin auch ihr CDU-Parteivorsitzender und der mögliche Kanzlerkandidat der Union. Durch diesen Affront hat die Kanzlerin Laschet in eine strategisch fast ausweglose Lage gebracht. Entweder dreht er doch noch bei und gesteht damit ein, dass seine Lockerungspolitik falsch war. Oder er bleibt unbeirrt bei seiner Position und läuft damit Gefahr, dass ihm am Ende alle negativen Folgen der Pandemie angelastet werden. Denn wenn die Epidemiologen mit ihren Prognosen Recht behalten, drohen bei einer Fortsetzung der Lockerungsstrategie verheerende Folgen. Und so wie die Inzidenzwerte steigen werden, werden die Werte eines Kanzlerkandidaten Laschet sinken – und damit die der Union.
Das wäre eine ungeheure Hypothek für den Unionswahlkampf. Denn CDU/CSU befinden sich ohnehin in der größten Vertrauenskrise seit dem Spendenskandal von Helmut Kohl, und zwar aufgrund des Zusammenfallens von Masken- bzw. Lobbyismus-Skandalen und der sich zuspitzenden Regierungskrise. Seit Beginn dieses Jahres und dem gescheiterten Impfstart erodiert auch das Vertrauen in die CDU-geführte Bundesregierung. Aus dem anfänglichen Unions-Bonus wird mehr und mehr ein Malus. Der Absturz der beiden Schwesterparteien ist beispiellos: Inzwischen rangieren sie in den Umfragen nur noch fünf Prozentpunkte vor den Grünen. Auf einmal gibt es damit die Chance zu einer anderen als der schwarzen Republik, die Unions-Kanzlerschaft ist nicht mehr alternativlos.
In dieser Situation wäre es die vordringliche Aufgabe des neuen CDU-Vorsitzenden, das Führungsvakuum in der Post-Merkel-Ära zu beenden und damit für mehr Vertrauen in die Union zu sorgen. Doch Laschet verfügt ganz offensichtlich nicht über die erforderliche Autorität. Die große Mehrheit der Bevölkerung, aber auch der CDU-CSU-Mitglieder sprechen ihm seit Beginn der Coronakrise die erforderliche Eignung für das Amt des Bundeskanzlers ab.
Wie hatte Laschet am Dienstag in seiner verunglückten Grundsatzrede betont: „Wir sind als Partei der Mitte der innovative Kern deutscher Politik. Wir wollen und können sprudelnder Quell kreativer Ideen für nachhaltige Umwelt-, Energie-, Wirtschafts- und Digitalpolitik sein.“ Doch von sprudelnder Kreativität kann in der CDU derzeit ebenso wenig die Rede sein wie von der von Laschet betonten „schöpferischen Unruhe“. Stattdessen ist allenthalben selbstzerstörerische Unruhe zu beobachten.
Mit ihrer öffentlichen Attacke gegen Laschet hat die Kanzlerin nun die vielleicht entscheidende Rolle in der Kandidatenfrage übernommen. Denn damit vergrößert sie die Angst, die in der Union ohnehin längst umgeht. Würde Laschet Kanzlerkandidat, drohte der Union schon bei der nächsten Wahl in Sachsen-Anhalt am 6. Juni, der letzten vor der Bundestagswahl, ein gefährlicher Martin-Schulz-Effekt, allerdings nur nach unten, bei dem sie am Ende im Bund bei weniger als 25 Prozent landen könnte.
Dennoch hält Laschet aus rein egoistischen Motiven – nämlich aus Angst vor dem eigenen Macht- und Bedeutungsverlust bei einem Verzicht – unvermindert an seiner Kanzlerkandidatur fest. Ginge es dagegen allein, wie von ihm behauptet, nach den Siegchancen der Union, wäre die Sache klar: Dann müsste Markus Söder Spitzenkandidat werden. Denn das ist die eigentliche Ironie der Geschichte: Ausgerechnet der CSU-Chef, lange Zeit erbitterter Merkel-Gegner, ist im Zuge der Corona-Krise zum eigentlichen Nachfolger der CDU-Kanzlerin avanciert, obwohl gerade Laschet über viele Jahre Merkel treu zur Seite gestanden hat. Doch während er sich im falschesten Moment, nämlich zu Beginn der Pandemie, von der Kanzlerin absetzte, erscheinen Merkel und Söder seither als ein fast symbiotisches Team. Und genau auf diese Weise hat Söder Merkels enorme Beliebtheitswerte regelrecht geerbt.
Allerdings hat sich der Franke durch permanente Attacken gegen die CDU-Minister und Ministerpräsidenten viele Gegner bei den Christdemokraten herangezüchtet. Zudem verfügt derzeit offensichtlich niemand in der CDU-Spitze über die Autorität, dem eigenen Parteivorsitzenden reinen Wein einzuschenken und ihn von seinem für die gesamte Union schädlichen Willen zur Kanzlerkandidatur abzubringen.
Die entscheidende Frage ist daher, ob in den nächsten Tagen nicht nur einige Bundestagskandidaten und Hinterbänkler in der CDU den Mut aufbringen, sich hinter Söder als Kanzlerkandidaten zu stellen, sondern auch die eigentlichen Machtzentren der Partei, nämlich die CDU-Ministerpräsidenten. Zwischen Ostern und Pfingsten muss die Entscheidung fallen. Der Countdown hat also begonnen, die Uhr läuft ab für die Union – und für deren Zukunft als die letzte gestandene Volkspartei. Denn genau darum geht es inzwischen auch am 26. September.