Postskriptum
Postskriptum
Vor einigen Jahren schrieb Kathrin Passig im Merkur einen bestechenden Aufsatz über die Vorteile schriftlicher Kommunikation. Genüsslich nahm die so angenehm gewitzte Essayistin eine Annahme über die Vorteile mündlicher Kommunikation nach der anderen auseinander, diese führe mitnichten zu weniger Streit und weniger Missverständnissen, und die Ursache für Zwistigkeiten liege zumeist nicht im falschen Eindruck, sondern im Dissens in der Sache.
Passigs Beschreibung ihrer geistigen Verfassung während einer Podiumsdiskussion dürfte genauso für das Dilemma jeder Fernsehtalkshow gelten. Selbst wenn es ihr gelänge, ihr Gegenüber richtig zu verstehen, „werde ich wahrscheinlich nicht auf sein Argument eingehen können und stattdessen das sagen, was sich in ähnlichen Situationen bereits bewährt hat. Vielleicht fällt mir am nächsten Tag ein Gegenargument ein, vielleicht sehe ich am übernächsten ein, dass der Gesprächspartner recht hatte.“
Andreas Maier stellte außerdem vor Jahren in der Zeit die These auf, das Aussterben des Konjunktivs im Sprachgebrauch der Deutschen habe seine Ursache in der Annahme der Menschen, es handle sich um eine uneigentliche Aussage, irgendetwas zwischen Flunkerei und Lüge – oder neudeutsch: nicht wirklich.
Nun ist das deutsche Lieblingsthema seit Tagen die saftig-sündige Seifenoper Schlesinger. Irgendwann sind Krieg, Pandemie und Klimakatastrophe ja auch zu sehr Stimmungskiller. Da kann die (nicht etwa unangebrachte) Empörung über all die Extravaganzen einer von Gebührengeldern bezahlten Intendantin der Seele ja auch mal guttun. Und zugleich wird über notwendige Reformen bei der ARD und im öffentlichen Rundfunk überhaupt, über neue Kontrollmechanismen und die Notwendigkeit, Vertrauen zurückzugewinnen, sachlich gesprochen. Wohlan.
Könnte es aber vielleicht auch sein, dass das sprichwörtliche eigentliche Problem in unserer fehlgeleiteten Fixierung auf das Fernsehen als Ganzem liegt? Der riesige Apparat – too big to reform? – ist schließlich auch Ausdruck der immensen politischen und gesellschaftlichen Bedeutung, die dem Fernsehen noch immer zugemessen wird. Die immergleichen Gestalten in den immergleichen Formaten sagen in der Regel dort das, was sich eben „bewährt hat.“ So viele Personen des öffentlichen Lebens, nicht nur das politische Personal, streben ungebrochen ins Fernsehen, um gesehen zu werden – was offensichtlich wichtiger ist, als verstanden zu werden. Wer dort nicht auftaucht, ist ein Konjunktiv, es gibt ihn – nicht wirklich.
Wer trotzdem weiter fernsehen will, sei schließlich noch an Donald Trump erinnert, von dem bekannt ist, dass er auch während seiner Präsidentschaft die meiste Zeit des Tages vor dem TV-Gerät zugebracht hat. Und wer wollte schon so enden wie er.