Kolumne | Direktnachricht
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Es war ein Moment gleichzeitiger Hoffnung, Verletzlichkeit und Angst, den nur wirklich nachvollziehen kann, wer damals mittendrin steckte. Damals, als #MeToo im Oktober 2017 viral ging. Viele teilten darunter detailliert ihre Geschichte, viele schwiegen weiter, viele gaben sich nur mit dem „Ich auch“ zu erkennen – mitunter zum allerersten Mal. Die schiere Masse an Berichten machte es unmöglich, das strukturelle Problem sexualisierter Gewalt als Einzelfall wegzuwischen. Allein in den ersten 24 Stunden erreichte der Hashtag 12 Millionen Social-Media-Reaktionen.
Das ist bereits fünf Jahre her. Die Idee zu Me too ist sogar noch älter und wurde 2006 von Tarana Burke entwickelt, um Betroffenen sexualisierter Gewalt – vor allem rassismusbetroffenen Frauen und Mädchen – das Reden über ihre Erfahrungen zu erleichtern und ihnen eine Form der Unterstützung zu bieten.
„Ich wusste, dass mich zum Fünfjährigen alle fragen würden: Was hat #MeToo denn gebracht? Viele wollen dann, dass ich eine Checkliste zücke. Dieses Framing weise ich aber immer wieder zurück,“ sagte Burke kürzlich in einem Interview. „Es geht nämlich weniger darum, was es gebracht, sondern was #MeToo überhaupt möglich gemacht hat. Denn wir leben tatsächlich in einer anderen Welt – durch die Anzahl der Menschen, deren Leben sich verändert hat, all die Unterhaltungen, die es sonst nicht gegeben hätte, und den Wandel in unserer Kultur.“
Selbstverständlich sind Burke auch die anhaltenden Probleme und antifeministischen Rückschläge mehr als bewusst. Denn „Überraschung“: Ein einzelner Hashtag kann das Patriarchat nicht stürzen. (Wenn er das könnte, hätte ich diesen Hashtag schon längst in die Welt gesetzt, glauben Sie mir.) Das schmälert aber keineswegs den bereits erwähnten Wandel, der dadurch fortgesetzt werden konnte. Hashtags wie #Aufschrei (2013), #MeToo (2017) oder der nächste seiner Art wirken im Kontinuum feministischer Kämpfe.
Die vorhergesagten Checklisten-Artikel zu „Fünf Jahre #MeToo“ sind natürlich dennoch erschienen, lassen strukturelle Fragen zu sexualisierter Gewalt jedoch leider oft im Hintergrund. Worüber weitaus weniger berichtet wurde, ist der GREVIO-Bericht des Europarats. Dieser kritisiert deutlich, dass Deutschland nicht genug Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt bietet. So finden zum Beispiel vor allem Frauen mit Behinderung und geflüchtete Frauen kaum die Hilfe, die sie benötigen. Das GREVIO-Gutachten bestätigt: Nirgends gibt es genügend Schutzplätze für Gewaltbetroffene, dafür aber lange Wartezeiten bei Beratungsstellen. Gewalttätige Väter erhalten trotz ihres Verhaltens immer noch das Sorge- oder Besuchsrecht, und die von der Istanbul-Konvention vorgesehene Gesamtstrategie gegen Gewalt fehlt bisher völlig.
Mehr – und vor allem kontinuierliche – Aufmerksamkeit für geschlechtsspezifische Gewalt ist also nach wie vor bitter nötig. Erst recht, wenn keine großen Schauspielerinnennamen daran hängen. Bewusstsein für das Problem kann allerdings immer nur der Anfang sein. Deshalb erlauben Sie mir zum Schluss diese Frage: Was haben Sie zuletzt gegen geschlechtsspezifische Gewalt getan?