Sie haben das Wort

Lindner, Merz und Merkel – über Können und Scheitern in der politischen Rede

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© DPA - BILDARCHIV; PICTURE ALLIANCE/A. SCHUHMANN
Papa Heuss; Mutter Merkel
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Papa Heuss; Mutter Merkel

Sie haben das Wort

Lindner, Merz und Merkel – über Können und Scheitern in der politischen Rede

Wer über Redekunst auf der politischen Bühne nachdenkt, muss sich den scharfen Schnitt nach den Zeiten des Nationalsozialismus vergegenwärtigen. „Rhetorik“ stand unter Verdacht. Eine Ausbildung, wie sie in den angelsächsischen Ländern bis heute in Redeclubs üblich ist, gab es hierzulande nicht. Stattdessen existiert das insgeheime Konstrukt der „natürlichen“ Rede. Konrad Adenauer war noch stolz darauf, seine Reden stets auf der Autofahrt von seinem Wohnsitz Rhöndorf ins nahe Bonn entworfen zu haben, was die spöttische Bemerkung herausforderte, dies merke man ihnen auch an.

Dabei dämmerte den Beteiligten immer mehr die Überzeugung, dass rhetorische Abstinenz nicht die Lösung sein könne. Ein interessantes Zeugnis dafür bietet Carlo Schmid in seinen Erinnerungen. Er berichtet über seine erste Reise in die Vereinigten Staaten und hält sein Staunen darüber fest, dass den dortigen Abgeordneten „hunderte Wissenschaftler“ zur Verfügung standen, „um ihnen bei ihren Reden nicht nur mit Fakten behilflich zu sein, sondern für sie auch komplette Redeentwürfe anzufertigen“. Schmids Urteil: Bei dem „hektischen Betrieb“ wohl unvermeidlich, aber auch mit einem Verlust von „Lebendigkeit“ verbunden.

Man kennt die rasche Entwicklung. Alle Spitzenpolitiker engagierten für wichtige Auftritte Redenschreiber. Das bedeutete: Erfahrene Journalisten prägten die Maßstäbe der politischen Rede, man könnte auch sagen: bestimmten die Fallhöhe für entsprechendes Scheitern. Der sermo humilis oder auch die trockene Juristenrede eines Konrad Adenauer hatten ausgedient, die Erwartung ging in Richtung von Brillanz, wie sie durch scharfe Antithesen, ausgesuchte Bilder, Wortspiele geprägt ist.

Interessanterweise hat dies Kritik ausgelöst. Ein Urgestein wie Theodor Heuss, selbst ehemaliger Journalist, schrieb seine Reden selbst und ließ sie allenfalls auf Verständlichkeit hin überarbeiten („entheussen“). Wenn Willy Brandt für seine Reden Klaus Harpprecht engagierte, wurde umgekehrt bemängelt, dass dies die eher schlichte und zupackende Ausdrucksweise Brandts verdecke.

Rhetorisch „gehoben“ aber war ein Maßstab, der fortan kaum ignoriert werden konnte. Selbst Angela Merkel griff nach kleinen Glanzlichtern oder ließ sie sich in ihre Reden einfügen. So sprach sie im Juni 2016 in Peking vom „Kern aller Rechtsstaatlichkeit“, der darin bestehe, „dass die Stärke des Rechts gilt und nicht das Recht des Stärkeren“. Ob sie wusste, dass genau dieses hübsche Sprachspiel bei der Eröffnung des ersten Büros des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag 2002 als Motto diente?

Aber wie gesagt: Mit der Aufwertung oder auch Erwartung von Rhetorik war die Fallhöhe fixiert. Politiker konnten sich mit Rhetorik profilieren und daran scheitern. Wer in die Geschichte der Bundesrepublik zurückblickt, findet in den ersten Jahrzehnten eher Beispiele für ein Abgleiten in wilde Redeschlachten. Man kann dazu etwa die Debatte über die Anti-Terror-Gesetze heranziehen, die am 16. Februar 1978 in der Regierungszeit der sozial-liberalen Koalition unter Helmut Schmidt und Hans-Dietrich Genscher verabschiedet wurden.

Alfred Dregger hatte die Verantwortung für die Entstehung des Terrorismus einem Klima von „Emanzipation, Konfliktpädagogik und antiautoritärer Erziehung“ zugeschoben. Universitäten, so das zugespitzte Bild, hätten sich zu „Ordensburgen für Systemveränderer und … Klippschulen für Halbgebildete“ entwickelt. Helmut Kohl als Oppositionsführer wandte sich gegen das „läppische Geschwätz von Gewissen“, das nur den „Machterhalt der Koalition“ tarne und endete mit der scharfen Antithese: „Ihre Republik ist nicht unsere.“ Unter den anschließenden gegenseitigen Beleidigungen schoss Wehner den Vogel ab, als er Philipp Jenninger statt „Geschäftsführer“ als „Geschwätzführer“ bezeichnete.

Das jüngste Beispiel eklatanten Scheiterns bietet Christian Lindners Verabschiedung von Linda Teuteberg. Man hat die Bemerkung, er habe mit seiner Generalsekretärin 200-mal „den Tag begonnen“, als verunglückten Altherrenwitz gebrandmarkt. Betrachten wir es einmal aus der Sicht der Rhetorik. Gerade Lindner gehört zu den Politikern, die sich mit geschliffener Rede zu profilieren versuchen. Antithesen, Bilder, Paradoxe gehören dazu, nicht zuletzt witzige Bemerkungen. Er weiß, wie seine Zuhörer reagieren, wenn er nicht das bietet, wofür er bekannt ist. Rein technisch gesehen ist die Formulierung eine Umschreibung dafür, dass er mit Teuteberg immer eng zusammengearbeitet hat. Und dann passiert es eben: Er will es nicht so einfach sagen, sondern witzig – und macht es noch schlimmer, als er das Lachen der Zuhörer aufgreift („Nicht was ihr jetzt denkt“). Lindner hat mit seinem Können auch sein Scheitern programmiert.

Ein ganz anderer Fall ist mit der Kritik an der Rede von Friedrich Merz auf dem Hamburger Parteitag 2018 anlässlich der Bewerbung um den CDU-Vorsitz verbunden. Auch Merz gilt zu Recht als Politiker mit brillanter Rhetorik (und übrigens ebenso brillantem Vortrag). Auch in dieser Rede hat er daran nicht gespart. Was ihm vorgeworfen wurde, war nicht verunglückte Rhetorik, sondern verunglückter Inhalt. Seine Rede, so die allgemeine Analyse, sei ohne Bezug auf die „Alltagssorgen“ der Bürger, ohne Empathie gewesen. Merz habe gesprochen, aber nichts „gesagt“.

So oder so: Rhetorik allein gilt nicht. Fast könnte man von einer Sehnsucht nach „Direktheit“, nach „Wahrheit“ ohne „Schein“ sprechen. Womit wir beim von vielen als rätselhaft angesehenen Erfolg von Angela Merkel wären. Aber Vorsicht: Wer dies für risikolos hält, kann ja einmal auf den twitternden amerikanischen Präsidenten blicken. Es ist nicht falsch, sich Hilfe beim rhetorischen Glanz zu suchen. Nur sieht man auch die Gefahren, die Abstürze (wie früher) in alte Rüpelhaftigkeit oder (wie heute) in schiere Selbstüberschätzung.

Gibt es trotzdem eine gute Nachricht? Durchaus! Es stimmt nicht, dass Politik allein in Hinterzimmern gemacht wird. Die Rede ist noch „da“, gerade die Abstürze beweisen es.

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