SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz wurde im Wahlkampf-Windschatten lange nicht beachtet. Ändert sich das gerade?
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz wurde im Wahlkampf-Windschatten lange nicht beachtet. Ändert sich das gerade?
Der Bundestagswahlkampf geht gerade in seine nächste Phase: Mehrere Wochen hatten sich vor allem Union und Grüne im heraufziehenden Wahlkampf beharkt. Auch in der Wahrnehmung der Medien ging es nur darum, ob denn nun Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet oder Grünen-Konkurrentin Annalena Baerbock ins Kanzleramt einziehen würde. Zwar durfte SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz an den bisherigen Triells teilnehmen. Aber die SPD wurde in der Berichterstattung als abgeschlagener Dritter teilweise nicht einmal mehr erwähnt.
Doch dies hat sich nun geändert. Entgegen der CSU-Wahlkampf-Weisheit, dass man nicht mit einer „Schlafwagen“-Strategie ins Kanzleramt kommt, punktete Scholz lange gerade dadurch, dass er überhaupt nicht auffiel. Dies half in der zurückliegenden Wahlkampfphase, die weniger von inhaltlichen Debatten als vielmehr von Fehlern der Kandidaten bestimmt war. Sowohl Baerbock als auch Laschet leisteten sich Patzer und mussten sich dafür entschuldigen. Lustvoll arbeiteten sich Anhänger von Grünen und Union aneinander ab – teilweise auch mit verbalen Tiefschlägen. Die gegenseitige Genervtheit ließ nur noch wenig von den früheren schwarz-grünen Zusammenarbeitsträumen erahnen. Geholfen hat dies keiner der beiden Parteien.
20 ist das neue 30
Da fiel kaum auf, dass der dritte Mann in den Debatten fehlte. Je nachdem, wen man fragt, machte Scholz entweder gar nichts oder aber keine Fehler. Das passt zu der bereits 2020 beschlossenen Hoffnungsstrategie der SPD, dass die deutschen Wähler bei zunehmender zeitlicher Nähe zur Bundestagswahl immer stärker nachdenken, wem aus dem Trio sie wirklich das Kanzleramt zutrauen. Dann soll Scholz die Partei aus dem dauerhaften Umfragenloch um die 15 Prozent ziehen – so der Plan. Den bescheiden gewordenen Sozialdemokraten reicht diesmal dabei schon ein Wert um die 20 Prozent, um eine echte Machtperspektive zu sehen.
Interessanterweise kopiert die SPD damit einen von ihr selbst immer wieder kritisierten Politikstil der Union. Als Kernbotschaft will der Vizekanzler zwar zum einen das sozialdemokratische Traditionsimage der „Gerechtigkeit“ vermitteln – zum anderen und vor allem aber Stabilität an der Spitze. Anders als die Grünen setzt die SPD eben nicht auf einen Bruch mit der Ära Merkel. Im Gegenteil will Scholz als der wahre Erbe der immer noch beliebtesten Politikerin wahrgenommen werden. Die suggerierte Botschaft lautet wie früher bei Angela Merkel: „Sie kennen mich.“
Nähewerte
Und die Kanzlerin tut derzeit einiges dafür, um diesen Eindruck sogar noch zu unterstützen, weil sie sich nicht offen an die Seite von Laschet stellt. Als ob sie dem Wahlkampf schon um Lichtjahre entrückt sei, sagte die ehemalige CDU-Vorsitzende in ihrer Sommerpressekonferenz, dass sie der CDU „nahestehe“. Das sorgte für Gelächter und eine Ergänzung, dass sie natürlich CDU-Mitglied sei. Aber von der Parteien-Distanz der Kanzlerin profitiert Scholz.
Dazu kommt aber auch, dass es der SPD derzeit gelingt, ihre größte Schwäche abzulegen oder zumindest zu verstecken: ihre traditionelle Zerstrittenheit. Das unwahrscheinliche Quartett aus dem Hanseaten Scholz, den beiden Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans und dem jungen Wilden Kevin Kühnert liefert dem Publikum derzeit keine offenen Grabenkämpfe.
Laschet-Söder II
Dagegen erwecken der CSU-Vorsitzende Markus Söder und Laschet gerade wieder den Eindruck, als ob sie auf eine Neuauflage im Streit um den besseren Unions-Kanzlerkandidaten zusteuern. Bei den Grünen sorgten die als vorsichtige Distanzierung wahrgenommenen Bemerkungen von Robert Habeck über Baerbock dafür, dass die Partei ihr größtes Pfund zu verspielen droht: den Auftritt eines gut gelaunten, positive Energien ausstrahlenden und harmonischen Duos. Scholz als lachender Dritter ist deshalb der Gewinner zumindest dieser Zwischenetappe des Wahlkampfes. Im neuen ZDF-Politbarometer liegt er bei der Frage nach der Kanzlerpräferenz in Führung. Erkennbar versucht der Vizekanzler nun, eine ihm zugeschriebene Schwäche auszubügeln – fehlende Empathie. Auftritte wie etwa bei der Frauenzeitschrift Brigitte dienen der „Menschwerdung“ des Finanzministers. Er sei ja schließlich kein „Untoter“, witzelt Scholz dabei.
Allerdings: Noch sind es acht Wochen bis zur Bundestagswahl. Und wer aus dem Windschatten der anderen tritt, wird selbst mehr Gegenwind zu spüren bekommen. Sollte die SPD etwa in Umfragen zu den Grünen aufschließen können, wird sich die politische Schlachtaufstellung noch einmal ändern. Dann werden sich Grüne und SPD stärker beharken. Die Grünen als selbsternannte Gralshüter der Klimaschutzpolitik müssten nicht nur die Union angreifen, sondern auch die SPD.
Koalitionskonstruktionen
Das liegt schon daran, dass Baerbock überhaupt nur eine Option auf das Kanzleramt hat, wenn sich ihre Partei zumindest auf Platz zwei behaupten kann. Schon aber streuen politische Spin-Doktoren, dass die Grünen Scholz auch die Kanzlerschaft antragen könnten, wenn sie nur knapp vor den Sozialdemokraten landen: Denn mit Scholz an der Spitze, so die Theorie, könne man FDP-Chef Christian Lindner dazu bringen, einer Ampel aus SPD, Grünen und Liberalen zuzustimmen.
Vorboten dieses nun auch rot-grünen Positionierungskampfes gibt es bereits: „Wo Union und Grüne in der Regierung sind, hinken die Bundesländer beim Bau neuer Windkraftanlagen hinterher“, giftete Scholz auf Twitter. Prompt reagierte eine ganze Riege von Grünen empfindlich und empört. „Ich fordere Sie hiermit auf, diese Falschdarstellung mit Blick auf Schleswig-Holstein zu korrigieren. Es ist ein Armutszeugnis, dass Sie und die SPD jetzt schon mit Lügen im Wahlkampf punkten wollen. Was ist das für ein Niveau?“, twitterte Schleswig-Holsteins Umweltminister Jan Philipp Albrecht empört.
Die nächste Wahlkampfphase hat gerade erst begonnen.