Souverän ist, wer sich für nachhaltige Energie entscheidet

Warum die aktuelle Debatte über die steigende Inflation die falschen Fragen stellt

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PICTURE ALLIANCE/TERESA KRÖGER/KIRCHNER-MEDIA
Fünf DM für einen Liter Benzin forderten die Grünen 1998. Was wäre in Deutschland 2022 los, wenn der Spritpreis auf zwei Euro stiege?
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Fünf DM für einen Liter Benzin forderten die Grünen 1998. Was wäre in Deutschland 2022 los, wenn der Spritpreis auf zwei Euro stiege?

Souverän ist, wer sich für nachhaltige Energie entscheidet

Warum die aktuelle Debatte über die steigende Inflation die falschen Fragen stellt

2021 stiegen die Konsumentenpreise so sehr wie seit 30 Jahren nicht mehr, 3,2 Prozent im Durchschnitt. Die Entwicklung ist vor allem von Energiepreisen getrieben. Diesel und Heizöl verteuerten sich zuletzt um 38 beziehungsweise 40 Prozent. Im Gegensatz dazu fielen die Lohnsteigerungen gering aus: Tariflöhne stiegen 2021 nur um 2,0 Prozent, der niedrigste Wert seit Beginn der Statistik im Jahr 2010. Insbesondere Familien, die auf ein Auto angewiesen sind und mit Öl heizen, waren 2021 zusätzlich zu Corona mit einer besonderen Herausforderung konfrontiert.

Angesichts dessen erstaunt der Fokus der deutschen Inflationsdebatte. Es scheint bisweilen weniger darum zu gehen, wie man mit den gestiegenen Energiepreisen umgeht, als um die Frage, ob die Europäische Zentralbank (EZB) vom tugendhaften Pfad abgekommen ist. Sie – so lautet der Vorwurf – würde die Zinsen trotz eindeutiger Indikation nicht anheben, um Ländern wie Italien günstige Finanzierungskonditionen für ihre Staatsverschuldung zu sichern. Denn würde die EZB die Zinsen erhöhen, stiegen auch die Renditen auf Staatsanleihen in der Eurozone, es würde teurer für Regierungen, sich zu verschulden.

Schon die Diagnose, dass eine Zinserhöhung durch die EZB offensichtlich das richtige Mittel gegen die heutigen Preisanstiege sei, bedarf der Erläuterung. Die Energiepreise steigen aufgrund außenpolitischer Verwerfungen mit Russland sowie eines schnellen Anstiegs der Nachfrage aus den USA und China. Eine Zinserhöhung der EZB, die wirkt, indem sie heutige Kreditvergaben in der Eurozone verteuert und damit Konsum und Investitionen ca. ein Jahr nach der Zinserhöhung reduziert, kann gegen solche externen Einflüsse zeitnah kaum etwas ausrichten. Dafür riskiert die EZB aber mit einer Zinserhöhung, die wirtschaftliche Erholung abrupt zu beenden, so wie es schon 2011 geschah, als Jean-Claude Trichet aufgrund steigender Energiepreise geldpolitisch gegensteuerte. Es ist also mindestens unklar, ob die EZB vom rechten Pfad abgekommen ist oder dass eine Zinserhöhung – Stand heute – der richtige Pfad wäre.





Noch wunderlicher wird es aber bei der Begründung, dass die EZB angeblich nicht tut, wie sie soll, um die Kosten der Staatsverschuldung niedrig zu halten: Eine Zinserhöhung um 0,25 Prozentpunkte (wie sie zu erwarten wäre) würde den Preis italienischer Staatsanleihen ungefähr auf 1,6 Prozent verteuern. Die durchschnittlichen Finanzierungskosten Italiens liegen heute aber bei 2,4 Prozent, da noch alte hochverzinste Anleihen ausstehen. Das heißt, selbst wenn die EZB die Zinsen erhöht, liegt der Preis der italienischen Neuverschuldung noch weit unter ihrem bisherigen Durchschnittspreis. Die Zinskosten für Italien würden weiter fallen – nur langsamer als zuvor. Ob die EZB dafür ihr Mandat verletzt?

Während ein Streit um die EZB daher fehlgeleitet erscheint, bringt die aktuelle Situation mindestens zwei wichtige Fragen mit Blick auf die Zukunft auf:

Erstens, wer zahlt die Zeche, wenn bestimmte Produkte im Zuge der Dekarbonisierung plötzlich viel teurer werden, nicht weil Russland den Gashahn ab-, sondern die Bundesregierung den CO2-Preis hochdreht? Bisher sind wir dieser Frage weitgehend ausgewichen, da der CO2-Preis mit aktuell 30 Euro (vs. den mindestens 130 Euro, die Experten für nötig halten) sehr niedrig angesetzt wurde und man tendenziell eher klimafreundliches Verhalten subventioniert, anstatt klimaschädliches zu „bestrafen“. Das mag auch erstmal die pragmatische Lösung sein. So würde eine Erhöhung der Kfz-Steuer auf konventionelle Antriebe wohl vor allem das Konto eines Pendlers mit altem Gebrauchtwagen leeren und es eher noch unwahrscheinlicher machen, dass er auf ein neues Elektroauto umsteigt. 9000 Euro Umweltprämie machen es dagegen für jemanden, der sowieso ein neues Auto anschaffen wollte, sehr viel attraktiver, ein E-Auto zu kaufen. Problematisch ist nur: Subventionen in den bisherigen Größenordnungen sind kaum durchhaltbar. Dazu findet eine signifikante Umverteilung in Richtung des Neuwagenkäufers statt. Ist das gut? Oder nicht gut, aber ein nötiger Nebeneffekt? Wie schnell und unerwartet dürfen Preise sich verändern, damit wir als Gesellschaft ihre Umverteilungseffekte als akzeptabel empfinden? Sollten zum Beispiel Vielfahrer mit Ölheizungen jetzt eine Kompensation erhalten? All das sind drängende Fragen, über die es sich jetzt mehr denn je zu streiten lohnt.

Zweitens: Die Anstiege der Energiepreise verdeutlichen einmal mehr die Abhängigkeit Europas von anderen Staaten, insbesondere Deutschlands von Russland. Mehr als 50 Prozent unseres Gases kommt von dort. Es wirkt fast ein bisschen hilflos, dass man bei Energiepreisanstiegen mit der EZB schimpft, während geopolitische Dynamiken die Preise bestimmen. Anstatt uns reflexartig dem internen Konflikt zuzuwenden, wäre es an der Zeit, sich in aller Ernsthaftigkeit zu überlegen, ob europäische Souveränität ein verfolgenswertes Ziel ist. Kommt man zu diesem Schluss und meint es ernst, ist es ein unumgänglicher Schritt, die europäische Finanz-, Währungs- und Energiepolitik so aufzustellen, dass sie der Souveränität zuträglich und nicht schädlich ist.

Idealerweise bedeutet das ein europäisches Finanzministerium, das europäische Ziele mit Geld unterlegt und im Interesse der Gemeinschaft handelt. Kurzfristig realistischer wäre wohl, den einzelnen Nationalstaaten Finanzierungsinstrumente und Regelrahmen an die Hand zu geben, die ihnen erlauben einen Beitrag zur europäischen Souveränität zu leisten, etwa durch den Ausbau von Erneuerbaren Energien, Netzen oder anderer Infrastruktur.

Genau das fehlt heute. Ja, Deutschland und die Niederlande können auch unter den gegenwärtigen Fiskalregeln investieren und sich sehr günstig über Staatsanleihen finanzieren. Italien oder Portugal sind jedoch oft dazu verpflichtet, Budgetüberschüsse zu erarbeiten, und ihre Staatsanleihen sind aufgrund des politischen Risikos sehr viel teurer; Raum zum Investieren bleibt kaum, und dieselbe Unsicherheit, die ihre Staatsanleihen verteuert, schlägt sich auch auf die Finanzierungskosten privater Investitionen vor Ort durch.

Angesichts der beginnenden Diskussionen zu den europäischen Fiskalregeln wäre es also kein schlechter Zeitpunkt, um sich darüber zu streiten, wie ernst es uns mit der Souveränität eigentlich ist und ob wir bereit sind, die Absicht mit einem entsprechenden finanzpolitischen Rahmen zu hinterlegen.

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