Eben doch keine Kulturkämpfe: Die CDU wird als erneuerte Wirtschaftspartei gebraucht
Eben doch keine Kulturkämpfe: Die CDU wird als erneuerte Wirtschaftspartei gebraucht
Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz hat nach einem Jahr im Amt mehr vorzuweisen, als so manche mediale Zwischenbilanzierung es vermuten lässt. In den Umfragen ist die Union mit komfortablem Vorsprung die stärkste Kraft. In einem zunehmend fragmentierten und dynamischen Parteiensystem wäre das keine schlechte Ausgangslage für die nächste Bundestagswahl. Nach oben zeigte die Kurve der Union erst wieder, als Merz die Partei übernommen hatte. Mit Unzufriedenheit über die Ampel ist der Wiederaufstieg allein nicht zu erklären. Im vergangenen Jahr erbrachte die Merz-CDU zweimal den Beweis, dass sie nach dem vermasselten Laschet-Wahlkampf wieder kampagnenfähig ist: Bei der AKW- und der Bürgergeld-Debatte hatte die Union am Ende die öffentliche Meinung auf ihrer Seite, Einfluss auf die Entscheidung der Ampel genommen und an Profil gewonnen. Ein Verdienst von Friedrich Merz.
Es gibt allerdings auch eine Reihe von Kennzahlen, die sehen für die CDU nicht berauschend aus. Und das sind nicht nur die Sympathiewerte des Parteivorsitzenden. Beispiel Wirtschaftskompetenz: Die Forschungsgruppe Wahlen fragt jeden Monat, welche Partei die Menschen für am kompetentesten in der Wirtschaftspolitik halten. Im Verlauf der 16 Jahre Merkel-Kanzlerinnenschaft antworteten im Durchschnitt 40 Prozent der Wahlberechtigten: CDU/CSU. Noch ein Jahr vor der Bundestagswahl 2021, im ersten Coronawinter, lag dieser Wert bei stolzen 55 Prozent. Seit Merz die CDU führt, halten durchschnittlich nur 22 Prozent die Union für am wirtschaftskompetentesten.
Ähnliches Bild bei der Schaffung von Arbeitsplätzen: Ein Jahr vor der jüngsten Bundestagswahl hielten mehr als 40 Prozent die Union in diesem Bereich für die fähigste Partei. Ein Jahr nach der Wahl, im November 2022, waren es nur 24 Prozent. Weiter mit der Sozialpolitik: Auf Merkels letzten Metern im Amt bescheinigten 30 Prozent der Union die höchste Kompetenz, fünf Prozentpunkte mehr als der SPD. Mittlerweile liegt die Union nur noch bei 20 Prozent, die SPD hingegen bei 31 Prozent. Und bei der Rentenpolitik ist der Absturz der Kompetenzwerte der Union sogar noch dramatischer.
Gewiss, in der Opposition lässt sich Kompetenz nur schwer unter Beweis stellen. Andererseits prägen finanzielle Sorgen und soziale Ängste die Stimmung im Land, die Inflation ist im Portemonnaie spürbar, vor einer Wirtschaftskrise wurde lange Zeit gewarnt. Ein Kontext, in dem die Unionsparteien ihre ökonomische Kompetenz, wenn auch nicht operativ, zumindest kommunikativ ausspielen müssten. Wahrnehmbar war die Union jedoch allzu oft auf anderen Feldern und mit schrillen Tönen: „Sozialtouristen“ aus dem Ukraine-Krieg, „Klimaterroristen“ auf den Straßen, „kleine Paschas“ aus migrantischen Milieus oder „Wokeness“ als Demokratiegefahr aus der linken Ecke. Merz weiß, wie man Debatten auslöst, allerdings wählt er regelmäßig den falschen Ton für das falsche Thema.
Sein strategischer Fehler: In der krisenverunsicherten Gesellschaft gibt es eine Hinwendung zum Materiellen, auf die die Union mit einer Thematisierung des Kulturellen reagiert. Das ist auch deshalb schwer nachzuvollziehen, weil die Union selbst jene Themen, die eng mit der Zukunft des Wirtschaftsstandorts verknüpft sind, kulturalisiert und deren Lösung damit erschwert. So argumentierte sie gegen die Einbürgerungsreform der Ampel, die auch die Fachkräfteanwerbung erleichtern soll, dass damit ein Teil der Identität der Deutschen abgewertet werde, und lenkte den Fokus im gleichen Atemzug auf „Einwanderung in die Sozialsysteme“. Statt die wirtschaftspolitische Debatte um andere Instrumente zur Deckung des immensen Fachkräftebedarfs zu bereichern, verschob sie das Thema auf das kulturelle Spielfeld. Auch von Wirtschaftsvertretern und -instituten erntete sie dafür Kopfschütteln.
Nun sollte die Vorstandsklausur vor zwei Wochen in Weimar zu einem wirtschaftspolitischen Befreiungsschlag werden. Sie wurde schließlich aber zum Prototypen des gegenwärtigen CDU-Problems: Die Klausur „lief etwas aus dem Ruder“, berichtete die Welt. Merz’ diskriminierende Einlassungen über Kinder aus Migrantenfamilien im Sessel von Markus Lanz hätten im Vorstand „Fragen“ aufgeworfen und damit den geplanten Ablauf torpediert. Wieder einmal machte die CDU eher mit kontroversen Aussagen ihres Vorsitzenden als mit inhaltlichen Ideen der Partei über sich reden. Polarisierung übertönt Programmatik.
Zum CDU-Problem gehört jedoch auch, dass den Beschlüssen von Weimar die zündende Idee fehlt. Allein die Überschrift „Wirtschaftspolitik, Energiepolitik und Klimapolitik als Einheit verstehen“ klingt mehr wie eine nachholende Erkenntnis als ein großes Versprechen. Viele Punkte bleiben in dem zehnseitigen Papier eher vage, sind konzeptionell meist altbekannt (Bürokratieabbau, Innovationsförderung, technologische Souveränität, wettbewerbsfähige Steuern und dergleichen) und lassen an den Stellen, wo sie sich von der Ampel eindeutig abgrenzen (etwa mehr Fokus auf CO2-Speicherung als auf Emissionsreduzierung) wichtige Fragen offen (etwa wie man denn dann die Klimaziele, die ja vor allem Emissionsreduktionsziele sind, erreichen will). Ein neues und nachhaltiges Wirtschaftsmodell für Deutschland schält sich aus dieser Erklärung noch nicht heraus.
Das neue Grundsatzprogramm der CDU soll bis 2024 fertiggestellt werden. Diese Zeit sollte man der Partei geben. Sie sollte die Zeit aber auch gut nutzen und beispielsweise die empirischen Daten der Konrad-Adenauer-Stiftung über die eigenen Wählerverluste bei der Bundestagswahl 2021 gründlich studieren. Dort erfährt man, dass die abgewanderten Wählerinnen und Wähler der Partei keine Problemlösungen mehr zutrauen und sie nicht auf der Höhe der Zeit sehen. Man erfährt auch, dass nur ein kleiner Teil der Verprellten findet, dass die Union zu wenig an konservativen Werten und Tugenden festhalte oder sich zu stark auf Minderheiten konzentriere. Ferner gaben auch nur 46 Prozent der tatsächlichen Unionswählenden an, sich selbst als konservativ zu verorten – und das bei einer Wahl, bei der die Union ohnehin schon 2,5 Millionen Stimmen an SPD und Grüne verlor.
Alles das spricht nicht dafür, dass die CDU kulturkampffähiger werden muss. In einem Überbietungswettbewerb mit dem rechten Rand kann die CDU wenig gewinnen, Richtung politischer Mitte aber umso mehr verlieren. Parteimitglieder wie Hans-Georg Maaßen sind keine einzufangenden Irrläufer, sondern längst Überläufer in das Milieu der AfD. In der Mitte läuft hingegen ein Wettbewerb um die wirtschaftspolitische Vorherrschaft im Land. Erfolgreich kann die CDU dabei nur als erneuerte Wirtschaftspartei und nicht als neue Winnetoupartei sein.