Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Die ersten Kommunen haben bereits kapituliert. Und sie werden nicht die letzten sein. Jüngst hat das thüringische Jena wissen lassen, dass es sich nicht in der Lage sieht, die Angaben zu den 7000 Flurstücken und mehr als 13000 Teilflächen fristgerecht zum 31. Oktober anzugeben, die nach dem neuen Grundsteuergesetz verlangt werden. Zu wenige Menschen haben die Grundsteuererklärung bisher eingereicht. Und es ist klar, dass auf die Ämter nun eine Datenwelle zurollt, die sie mit dem derzeitigen Mitarbeiterbestand nicht bewältigen können. So raubt die Reform nun nicht nur den großen und kleinen Immobilienbesitzern den Schlaf, sondern auch den Finanzbeamten.
Es sollen an dieser Stelle keine Überlegungen über Sinn oder Unsinn einer Grundsteuerreform angestellt werden, denn das Verfassungsgerichts hat sein Urteil schon 2018 verkündet. Seit 2019 ist ein neues Gesetz in Kraft, auf dessen Basis die öffentliche Hand bis spätestens Anfang 2025 eine neue Grundsteuer erheben muss. Man könnte deshalb sagen: Da müssen nun mal alle durch.
Und doch seien zwei Anmerkungen erlaubt. Erstens: Mit der Art der Datenerhebung haben die Finanzämter ein neues Bürokratiemonster geschaffen. Es ist ja nicht so, dass Eigentümer – ähnlich leicht zugänglich wie beim Zensus – Adresse, Gemarkung, Flur, Flurstück und Bodenrichtwert in eine übersichtliche Tabelle eintragen müssten. Nein, man bekommt mit Elster.de eine Plattform dafür, die an Verbraucherfeindlichkeit kaum zu übertreffen ist. Für Laien ist die Systematik, nach der das Programm agiert und reagiert, nur schwer durchschaubar. Gelinde gesagt: Es ist eine Zumutung. Kein Wunder, dass so viele verzweifeln, vor allem, wenn sie sich keinen Steuerberater leisten können, der im Umgang mit der Eingabe von Steuerdaten versierter ist.
Nun rennen also Wohnungs- oder Hausbesitzer zum Finanzamt, um sich helfen zu lassen, wenn sie dort überhaupt noch einen Ansprechpartner finden, sehen sich YouTube-Tutorials an, versuchen, mit Chatbots zu kommunizieren, um aus dem Schlamassel herauszukommen, und haben derweil schlaflose Nächte, weil ihnen bis zu 25 000 Euro Strafe drohen, wenn sie bis Ende Oktober nicht liefern.
Viele Bürgerinnen und Bürger sind derart rechtsgläubig, dass ihnen zudem die Angst vor versehentlich falschen Angaben seit Wochen den Appetit verdirbt. Sie wissen ja: Unkenntnis schützt vor Strafe nicht. Und sie wissen auch, wie gnadenlos Finanzbehörden schon beim geringsten Versehen zuschlagen können.
Zweitens: Da befindet sich das Land in einer der schwierigsten Phasen der Nachkriegszeit, in der viele Bürgerinnen und Bürger genauso wie die Wirtschaft aufgrund von Inflation und Energiepreisexplosion, Verwerfungen in den Lieferketten und bevorstehender nächster Corona-Welle existentielle Sorgen plagen. Stattdessen aber sollen sie sich über die neue Erfassung ihrer Grundsteuerdaten beugen und Stunden an einem miserabel designten Internet-Tool verbringen.
Rechtsgläubigkeit ist ein hohes Gut. Und Deutschland ist ein sehr rechtsgläubiges Land. Diesen Kredit kann man politisch leicht verspielen. Die Politik sollte sich endlich überlegen, wie sie das Land entbürokratisiert, anstatt immer neue Verwaltungsmonster zu schaffen, die Wirtschaft und Gesellschaft gegen sie in Stellung bringen.