Stiftungsunwesen

Es liegt an den demokratischen Parteien, Millionen für die AfD-nahe Erasmus-Stiftung zu verhindern – mit einem Stiftungsgesetz

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PICTURE ALLIANCE/DPA | MICHAEL KAPPELER
Lehren aus Weimar? Es läge am Deutschen Bundestag, ein Stiftungsgesetz zu verabschieden, auch wenn dieses die Arbeit aller Stiftungen beeinträchtigte.
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Lehren aus Weimar? Es läge am Deutschen Bundestag, ein Stiftungsgesetz zu verabschieden, auch wenn dieses die Arbeit aller Stiftungen beeinträchtigte.

Stiftungsunwesen

Es liegt an den demokratischen Parteien, Millionen für die AfD-nahe Erasmus-Stiftung zu verhindern – mit einem Stiftungsgesetz

Das Thema „Erziehung zur Demokratie“ ist in diesem Land so alt wie die Bundesrepublik selbst. Beginnend mit den alliierten Programmen zur Reeducation leistet sich das Land ein Programm politischer Bildung, das in dieser Dichte und Reichweite weltweit wohl einzigartig ist. Die Bundeszentrale für politische Bildung mit ihren teils kostengünstigen, teils kostenlosen Formaten für alle Zielgruppen ist ein prominentes, ehrwürdiges Beispiel; das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ fördert zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen, um Bildungsangebote zur Verfügung zu stellen, die weniger von oben herab daherkommen. Die Lehren aus der Weimarer Republik als einer „Demokratie ohne Demokraten“, die auch deswegen unterging, sind der politischen Kultur in Deutschland tief eingeschrieben.

Zu den Säulen der Demokratiebildung in diesem Land gehören die Parteienstiftungen. Ob Konrad-Adenauer- oder Rosa-Luxemburg-Stiftung: Die parteinahen Stiftungen leisten Wesentliches, wenn es um die diskursive Infrastruktur des Landes geht. Wenn in Deutschland produktiv politisch gestritten wird, dann auch deswegen, weil die Stiftungen immer wieder solche Räume öffnen, unterschiedliche Positionen ins Gespräch bringen und die Diskussion befördern. In zahlreichen einvernehmlichen Erklärungen haben die Stiftungen ihre Unabhängigkeit von den Parteien wie auch ihr Bekenntnis zu einer offenen Debattenkultur und zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung dargelegt.

Allerdings: Die Arbeit der politischen Stiftungen in Deutschland beruhte bis dato allein auf Gepflogenheiten, Verabredungen und Einvernehmlichkeiten. Aus parlamentarischer Tradition heraus erhielten sie zu jeder neuen Legislatur Geld aus verschiedenen Ministerien, aufgeschlüsselt nach dem durchschnittlichen Wahlergebnis der Parteien. Ein hoher dreistelliger Millionenbetrag ist es, den die Stiftungen inzwischen erhalten. Die Transparenz- und Buchhaltungspflichten sind dabei überschaubar, auf keinen Fall sind sie so streng wie die gleichartigen Bestimmungen für ihre Mutterparteien. Gerade in jüngster Zeit regte sich gelegentlich Unmut; über eine „verborgene Parteienfinanzierung“ wurde gemäkelt, der geringe Regulierungsgrad beklagt. Aber die überwiegend solide Arbeit der Stiftungen, der geringe politische Handlungsdruck wie auch der Unwille von Politiker*innen, mit entsprechenden Gesetzesvorhaben immer auch der eigenen Stiftung Beschwernisse zu schaffen, haben eine Verrechtlichung der Stiftungsarbeit verhindert. Das rächt sich jetzt.

Das System aus Gepflogenheiten, Selbstverpflichtungen und Einvernehmlichkeiten bricht da zusammen, wo eine Partei wie die AfD auf den Plan tritt. Deren Strategen hatten von Anfang an getönt, nicht mitspielen, sondern den Spieltisch umwerfen zu wollen, als den sie den Konsens der „Altparteien“ sahen. Auch die politischen Stiftungen waren so ein Spieltisch, wurden von AfD-Politikern jahrelang als „Selbstbedienungsladen“ der Parteien verhöhnt. Das hinderte die Partei nicht, mehrfach bis vors Verfassungsgericht zu ziehen, um sogar noch vor dem üblichen Datum ihren eigenen Selbstbedienungsladen aufzumachen. Mit dem Wiedereinzug der AfD in den Bundestag ist der formale Anspruch der parteinahen Desiderius-Erasmus-Stiftung auf entsprechende Förderung nicht mehr von der Hand zu weisen.

Vor der Desiderius-Erasmus-Stiftung warnen Expert*innen indes seit ihrer Gründung. Schon ihre aktuelle Vorsitzende, die ehemalige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen Erika Steinbach, müsste eigentlich Anlass genug sein, alle Alarmglocken schrillen zu lassen. Steinbach teilte das Video, das den Attentäter von Walter Lübcke zu seiner Tat motivierte, feuerte den Hass auf den Kasseler Regierungspräsidenten noch an. Steinbach verglich AfD-Mitglieder mit verfolgten Jüdinnen und Juden zur Nazi-Zeit und erging sich auch sonst in geschichtsrevisionistischen Thesen. In Vorstand, Kuratorium und Freundeskreis der Stiftung tummelt sich das Who-is-Who der Neuen Rechten. Karlheinz Weißmann, zuletzt stellvertretender Vorsitzender des Kuratoriums, ist seit Jahren ihr Vordenker und Scharfmacher; AfD-Hausphilosoph Marc Jongen, ebenfalls im Kuratorium, behauptete im Bundestag, die deutsche Gedächtnispolitik sei darauf ausgerichtet, „den Daseinswillen der Deutschen als Volk und Nation zu brechen“. Da ist aber auch der stellvertretende Vorsitzende Klaus Peter Krause, der einen Artikel mit verschwörungsideologischen Überlegungen zu Corona veröffentlichte und dabei auch antisemitische Codes („Neue Weltordnung“) zitierte. Stiftungsmitglied Sebastian Wippel machte Angela Merkels Politik in einer Rede im sächsischen Landtag für islamistische Terroranschläge im Land verantwortlich und fügte hinzu: „Leider hat es nicht die Verantwortlichen dieser Politik getroffen.“ In einer Studie konnten der Stiftung Verbindungen zur Initiative „Ein Prozent“, zur rechtsextremen Identitären Bewegung sowie zum als Verdachtsfall eingestuften Institut für Staatspolitik und dem Antaios-Verlag von Götz Kubitschek nachgewiesen werden.

Geht alles nach den Gepflogenheiten und Traditionen, werden diese furchtbaren Menschen einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag erhalten, den sie allen Ernstes zur Demokratieförderung einsetzen sollen. Der Gesetzgeber gibt ihnen dazu kein Regularium in die Hand, verpflichtet sie zu nichts, fragt an keiner Stelle genauer nach. Wohin dieses Geld fließen wird, ist allen klar: in rechte Netzwerke, in Hass, Hetze und Menschenverachtung. Es ist, als gäbe man Pyromanen Gelder für die Einrichtung von Feuerwehrhäusern.

Nun rächt es sich, dass das Stiftungssystem so lange nicht angerührt wurde. Keine*r der Politiker*innen, die von der Zivilgesellschaft auf dieses zum Himmel schreiende Unrecht hingewiesen wurden, ist dafür, dass die Erasmus-Stiftung Geld erhält – unternehmen will aber auch keine*r etwas. Eine Andersbehandlung der AfD verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, heißt es dann zum Beispiel. Es ist absurd: Steinbach könnte demnach auch zum bewaffneten Kampf aufrufen – nach dem Selbstverständnis des Parlaments müsste ihre Stiftung trotzdem Geld erhalten.

Ein von der Bildungsstätte Anne Frank in Auftrag gegebenes Gutachten bestätigt, dass die Demokratie juristisch nicht in der Pflicht ist, ihre Feinde zu nähren. Im Gegenteil: Das Parlament hat alles Recht und die moralische Pflicht, diesem grotesken Mummenschanz, in dem eine Hetzerin wie Steinbach als Demokratielehrerin auftritt, schnellstmöglich Einhalt zu gebieten. Dafür allerdings müssen die anderen Parteien und ihre Stiftungen über ihren Schatten springen – und das für sie bequeme System aus Gewohnheiten und Verabredungen endlich durch geltendes Recht ersetzen.

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