Tendenzwende 2.0

Wie es nach der Bundestagswahl 2021 zu einem Linksbündnis kommen könnte

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PICTURE ALLIANCE/BILDAGENTUR-ONLINE
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Tendenzwende 2.0

Wie es nach der Bundestagswahl 2021 zu einem Linksbündnis kommen könnte

Trotz der grassierenden Corona-Pandemie kann es sinnvoll sein, sich über die politische Zukunft nach der in den nächsten Monaten hoffentlich gelingenden Eindämmung des Virus Gedanken zu machen. Die spannendste Frage in dieser Hinsicht ist, von wem wir nach der Bundestagswahl im Herbst nächsten Jahres wohl regiert werden.

Die Union ohne Angela Merkel wird bei der Wahl Einbußen hinnehmen müssen, und der anlässlich der Verschiebung des CDU-Parteitags offen ausgebrochene Streit macht die Sache nicht einfacher. Aber den Vorsprung von momentan 15 bis 18 Prozentpunkten vor den Grünen wird sie wohl nicht gänzlich verlieren. Sollten die Grünen auf Platz zwei vor der SPD landen und die beiden zusammen mit der Linkspartei eine Mandatsmehrheit bekommen, werden die drei Parteien aller Wahrscheinlichkeit eine Koalition bilden.

Die Grünen definieren sich zwar als nach beiden Seiten anschlussfähige Bündnispartei, sind aber programmatisch eindeutig links verortet und haben ihren Führungsanspruch so klar formuliert, dass sie sich die Kanzlerschaft nicht entgehen lassen werden wollen.

Die SPD hat schon mit dem Parteitagsbeschluss von 2013 die Voraussetzung für eine Koalition mit der Linkspartei geschaffen, die beiden SPD-Vorsitzenden wollen ein „progressives Bündnis“, auch als Nummer zwei, und Olaf Scholz hat sich in den vergangenen Monaten mit einem inhaltlichen Schwenk nach links – die Stichworte sind Abkehr von der Schwarzen Null, Forderung nach einer Vermögenssteuer und Zustimmung zur gemeinsamen Schuldenaufnahme in der EU – dem linken Flügel seiner Partei so weit angenähert, dass eine Linkskoalition an ihm letztlich nicht scheitern wird. Das gilt auch, wenn man annimmt, dass seine eigenen Präferenzen wohl eher bei Rot-Grün oder einer Ampel liegen. Ersteres ist schon rein rechnerisch äußerst unwahrscheinlich, und eine Ampel würde zudem inhaltlich wohl an Teilen der eigenen Partei und den Grünen scheitern. Selbst wenn es – wie kürzlich in Berlin – auch auf Bundesebene eine Diskussion um die wahlkampfstrategische Abgrenzung von den beiden anderen Parteien geben sollte, bleibt somit die Tatsache, dass eine Linkskoalition für die SPD die einzig halbwegs realistische Machtoption darstellt, da eine erneute Große Koalition in der Partei nicht vermittelbar ist.

Bei der Linkspartei ist trotz der Verschiebung des Parteitags klar, dass Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler die künftigen Bundesvorsitzenden werden sollen. Hennig-Wellsow steht klar für eine Regierungsbeteiligung. Wissler ist zwar auch nach ihrem Austritt aus der vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuften Parteigruppierung „Marx 21“ von ihrem Ziel der Überwindung des Kapitalismus nicht abgerückt, ist aber schon seit mehr als zehn Jahren Teil des parlamentarischen Systems, das es ja eigentlich zu bekämpfen gilt, und hat in Hessen schon zweimal über Regierungsbündnisse verhandelt. An den Personen wird eine Regierungsbeteiligung somit nicht scheitern.

Inhaltlich sind sich die drei Parteien in wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Fragen so nahe, dass Kompromisse gefunden werden können. Der einzige Stolperstein sind die außen- und sicherheitspolitischen Positionen der Linkspartei. Vom sofortigen Austritt aus der Nato ist man allerdings schon abgerückt, und in Bezug auf die Auslandseinsätze der Bundeswehr wird an Kompromissformeln gearbeitet.

Sollte allerdings die SPD zweitstärkste Partei werden, würden sich dort zwar die Anreize für eine Linkskoalition durch die Aussicht auf Olaf Scholz als Kanzler noch verstärken. Die Grünen würden jedoch vor der Frage stehen, ob sie nicht doch der von einigen Führungsleuten präferierten Koalition mit der Union den Vorzug geben sollten, da sie sich dort inhaltlich besser als Korrektiv profilieren und mehr Kabinettsposten erwarten können. Um die Kanzlerschaft zu behalten, wäre die Union – nicht nur unter einem Parteivorsitzenden Armin Laschet – in diesem Fall wohl auch zu weitreichenden Zugeständnissen bereit. Nicht vergessen werden sollte jedoch, dass die grüne Basis, die einer Koalition zustimmen muss, im Fall einer rechnerischen linken Mehrheit darauf dringen wird, diese auch politisch zu realisieren.

Bleibt die Frage, ob es eine solche rechnerische Mehrheit geben wird. Dafür spricht, dass die drei Parteien im gesamten Jahr vor der Coronakrise immer wieder rechnerisch in den Mehrheitsbereich kamen und das Wahlverhalten so flexibel geworden ist, dass die momentan fehlenden Prozentpunkte wieder erreicht werden können. Denn im Wahlkampf um die Bewältigung der ökonomischen Coronafolgen könnte nicht nur die Wirtschaftskompetenz der Union, sondern mit der Frage nach der fairen Verteilung der Lasten auch wieder der traditionelle Markenkern der SPD – die soziale Gerechtigkeit – im Mittelpunkt stehen. Auch die Frage des Klimawandels könnte sich wieder stärker in den Vordergrund schieben. Dagegen spricht, dass bisher weder Scholz selbst noch seine Partei von seiner Nominierung als Kanzlerkandidat profitiert haben und es für den Finanzminister nicht einfach werden wird, die für ein Erstarken der SPD notwendigen Mitte-Wähler mit einem linken Programm anzusprechen. Zudem werden es die Grünen schwer haben, ihre komfortable, unterschiedliche Wählergruppen ansprechende Sowohl-als-auch-Position personell, inhaltlich und koalitionsstrategisch durchzuhalten. Keine Frage, es wird wohl bis zur Wahl spannend bleiben.

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