Der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 führt zur Gründung Deutschlands und deutet das maschinelle Morden der Kriege des 20. Jahrhunderts an
Der Deutsch-Französische Krieg von 1870/71 führt zur Gründung Deutschlands und deutet das maschinelle Morden der Kriege des 20. Jahrhunderts an
Zwei Jahre nach dem Ende des Deutsch-Französischen Krieges vollendet der Maler Anton von Werner ein repräsentatives Feldherrenporträt des Generalstabchefs Helmuth von Moltke. Hoch zu Ross blickt der Feldmarschall von einem Hügel hinab ins Tal, wo er in der Ferne die französische Hauptstadt Paris erblickt. Entscheidend aber ist ein Detail am Bildrand. Während sich Moltke mit eigenen Augen einen Überblick über das Terrain verschafft, errichten Soldaten eine Telegrafenleitung zur raschen Nachrichtenübermittlung. Moltke wird demnach als ein Feldherr gezeigt, dessen strategisches Geschick nicht allein auf klassischer Kriegskunst, sondern auch auf dem Einsatz neuester Technik beruht.
Das Historiengemälde verdichtet eines der wesentlichen Merkmale dieses Krieges, nämlich eine merkwürdige Ungleichzeitigkeit von traditioneller und industrialisierter Kriegsführung. Trommel trifft auf Trommelfeuer: Nach wie vor schlägt ein Trommler den Takt für den Vormarsch der Infanterie, doch immer öfter bleiben die Angriffe im Feuer moderner Salvengeschütze wie der gefürchteten „Mitrailleuse“ stecken. Stürmische Kavallerieattacken, in Schlachten früherer Kriege oft mitentscheidend, verpuffen unter hohen Verlusten im Sperrfeuer der Gegner. Die bunten Uniformen unterschiedlichster Regimenter und die offenen Feldschlachten mögen an die Kabinettskriege vergangener Zeiten erinnern. Doch die Operationen der Generäle und ihrer Armeen werden dynamischer, aggressiver und verlustreicher. Das maschinelle Morden des Ersten Weltkriegs kündigt sich bereits im „Waffengang“ von 1870/71 an.
150 Jahre nach Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges wagt das Militärhistorische Museum in Dresden eine überaus vielschichte Annäherung an einen Konflikt, an dessen Ende mit der Proklamation des Deutschen Kaisers im Spiegelsaal des Versailler Schlosses die deutsche Nationalstaatsgründung öffentlich vollzogen wurde. Die Kuratoren sehen den Krieg in diesem Kontext nicht isoliert, sondern als Schlusspunkt einer historischen Entwicklung, die bereits mit der versäumten Nationenbildung nach der Revolution von 1848/49 einsetzte. Mit dem Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 und dem Deutschen Krieg von 1866 ebnete der preußische Ministerpräsident Otto von Bismarck den Weg zu einer deutschen Einigung „von oben“ unter Preußens Führung. Diese Vorgeschichte führte nicht zwangsläufig in den Krieg gegen Frankreich. Doch als diese Option sich eröffnete, wusste Bismarck sie zu nutzen.
Mit dieser Einordnung folgt die Dresdener Ausstellung einer verbreiteten Sichtweise unter Historikern. Wirklich spannend aber ist sie wegen der vielen Nuancen, die den Alltag des Krieges und seine Nachwirkungen sehr prägnant veranschaulichen. Nicht nur in der Waffentechnik, auch in der Logistik kündigt sich die Industrialisierung der Kriegsführung an. Der zielgenaue Transport von Truppenteilen mit der Eisenbahn und die rasche Übermittlung von Nachrichten per Telegrafie werden zu entscheidenden Faktoren. In Rüstungsfabriken wird der Nachschub für die Front standardisiert und effizient produziert. Das gilt nicht allein für Gewehre und Geschütze, sondern auch für die Bekleidung und Ausrüstung der Soldaten.
Erstmals ist der Krieg auch an der Heimatfront sehr präsent. Trotz des vorentscheidenden Sieges in der Schlacht von Sedan am 2. September ziehen sich die Kampfhandlungen mit der Belagerung von Paris noch über Monate hin. Korrespondenten verschiedener Tageszeitungen „tickern“ ihre Berichte von den Kriegsschauplätzen in die Redaktionen und halten ihre Leser über den Fortgang der Ereignisse auf dem Laufenden. Ebenso sendet die Militärführung eifrig offizielle Depeschen mit patriotischen Siegesmeldungen in die deutschen Staaten, die öffentlich plakatiert werden. Insofern wirft dieser Krieg auch medial seine Schatten in die Moderne voraus: Die Bevölkerung wird nahezu in Echtzeit informiert, und die Propaganda übt sich in der geistigen Kriegsführung, insbesondere was die Diffamierung des Gegners betrifft.
Die gesteigerte Öffentlichkeit führt auch dazu, dass die aufkommende Rotkreuzbewegung schnell viel Zulauf erfährt. Die freiwillige Pflege von Verwundeten und Kranken aller Kriegsparteien wird im Deutsch-Französischen Krieg erstmals auf breiter Front verwirklicht. Ärzte und Pflegepersonal stehen unter dem Schutz der Neutralität, auch in der Heimat engagieren sich Frauen aus dem Adel und Bürgertum in der Ausbildung von Krankenschwestern und in der Sammlung von „Liebesgaben“ für die Soldaten – Lebensmittel, Wäsche, aber auch Verbandszeug und Medikamente. In der Sorge um verletzte Soldaten und ihre bestmögliche Versorgung wird der Krieg nun nicht mehr nur auf den Schlachtfeldern geführt, sondern auch in den Lazaretten und Pflegeeinrichtungen. Tod und Verwundung geraten ins Bewusstsein breiter Bevölkerungsschichten, in zunehmendem Maße wird so ein Nationalgefühl befördert.
Immer wieder begegnen sich im Deutsch-Französischen Krieg eine alte und eine neue Zeit. Besonders fasziniert zeigen sich zeitgenössische Schlachtenmaler von den Fesselluftballons, mit deren Hilfe die Verteidiger von Paris während der monatelangen Belagerung der Stadt Verbindung zu den unbesetzten Landesteilen aufnehmen. Am Boden werden die neuen Flugobjekte von Husaren auf ihren Pferden verfolgt, die mit Karabinern einen Abschuss versuchen. Viel krasser konnten Moderne und Tradition kaum aufeinanderprallen.
„Krieg. Macht. Nation.“ Militärhistorisches Museum Dresden, bis 31. Januar, tägl. 10-18 Uhr, Eintritt 5/3 Euro, bis 18 Jahre frei; www.mhmbw.de