Serbien und Kosovo unterzeichnen zur Lösung ihres Konfliktes einen „historischen Deal“. Was steckt dahinter?
Serbien und Kosovo unterzeichnen zur Lösung ihres Konfliktes einen „historischen Deal“. Was steckt dahinter?
Es ist eine seltsame diplomatische Zeremonie, die an jenem Tag im Weißen Haus in Washington stattfindet. US-Präsident Donald Trump spricht von einem „wahrhaft historischen Tag“, er lobt sich, seine Cleverness, seine Weitsicht. Rechts von ihm sitzt Serbiens Staatspräsident Aleksandar Vučić, links der kosovarische Premier Avdullah Hoti. Die beiden wirken nicht sehr glücklich.
Als Trump erwähnt, dass Serbien seine Botschaft in Israel nach Jerusalem verlegen wird, blättert Vučić verwirrt in seinen Papieren und blickt hilfesuchend zur Seite. Minuten später huldigt er dem US-Präsidenten in einer Ansprache, wie man sie auf einem nordkoreanischen Parteikongress vermuten würde. Auch Hoti übt sich in einer Ergebenheitsadresse. Später twittert der US-Präsident: „Noch ein großer Tag für den Frieden in Nahost.“
Das Weiße Haus in Washington am 4. September 2020. Vučić und Hoti unterzeichnen Erklärungen, Trump zwei Dankesschreiben. Der US-Präsident reklamiert für sich, an diesem Tag den entscheidenden Schritt zur Lösung des jahrzehntealten Kosovo-Konfliktes unternommen zu haben. Es geht um die ökonomische Annährung der beiden Länder. Die werde im Laufe der Zeit unvermeidlich in eine politische Normalisierung münden, behaupten Trump und seine Berater. Doch nicht nur das: Der US-Präsident hat den Kosovo-Konflikt auch mit einer neuen Initiative im Nahost-Konflikt verknüpft. Er sieht sich deshalb als erfolgreicher Friedensstifter.
Beobachter und Experten reagierten gemischt auf den „Trump-Deal“, manche kopfschüttelnd, andere besorgt. Als historisch bezeichnet ihn niemand. In der Europäischen Union ist man ungehalten über die Einmischung in die eigene Kosovo-Politik und entsetzt über die Torpedierung der europäischen Israel-Politik. Andere traditionelle außenpolitische Verbündete Serbiens und Kosovos melden ebenfalls Vorbehalte an. Innenpolitisch geraten Vučić und Hoti jeweils in erhebliche Erklärungsnöte.
Was hat es auf sich mit diesem „Deal“? Zunächst einmal geht es nicht um ein Abkommen oder einen gegenseitigen Vertrag – Serbien und Kosovo haben kein gemeinsames Dokument miteinander ausgetauscht. Unterzeichnet hat jede Seite vielmehr ein Papier mit jeweils nicht völlig identischem Text, der gemeinsame Titel darüber lautet „Ökonomische Normalisierung“. Es sind überwiegend unverbindliche Absichtserklärungen der beiden Länder.
Serbien und Kosovo erklären sich bereit, gemeinsame Infrastrukturprojekte, darunter eine Autobahn und Eisenbahnstrecken, auszubauen, ihre Energieversorgung zu diversifizieren und den Grenzverkehr zu erleichtern. Kosovo soll der „Mini-Schengen-Zone“ beitreten, die Serbien, Albanien und Nord-Mazedonien im Herbst 2019 vereinbart haben.
Daneben sind eine Reihe nicht-ökonomischer Punkte aufgelistet: Serbien setzt seine diplomatische Kampagne zur Rücknahme der Anerkennung Kosovos ein Jahr lang aus, Kosovo verzichtet auf Mitgliedsanträge in internationalen Organisationen. Die beiden Länder erklären, in ihren Kommunikationsnetzwerken keine 5G-Technologie von „nicht vertrauenswürdigen Anbietern“ zuzulassen und Diplome gegenseitig anzuerkennen. Sie versprechen, weltweit gegen die Diskriminierung von Homosexualität aufzutreten.
Dann sind da noch die separaten Nahost-Bezüge für beide Länder: Kosovo und Israel vereinbaren eine gegenseitige Anerkennung, Serbien wiederum verpflichtet sich, seine Botschaft in Israel bis Juli 2021 nach Jerusalem zu verlegen.
Einige Punkte wie der Autobahnbau oder die Anerkennung von Diplomen sind schon vor Jahren mit der EU vereinbart, allerdings nicht umgesetzt worden. Anderes hat, leicht erkennbar, nichts mit dem Kosovo-Konflikt zu tun, sondern dient Trumps eigenen politischen Interessen und seinem Wahlkampf – etwa das Verbot chinesischer 5G-Technologie oder seine Unterstützung für die Politik des israelischen Premiers Benjamin Netanjahu. Insgesamt lesen sich die Papiere als bizarres diplomatisches Amalgam.
Trump hat sich schon vor Jahren in den Kopf gesetzt, in der Westbalkan-Region als Friedensstifter in die Geschichte einzugehen. In der Realität führt seine Politik jedoch in einigen Westbalkan-Ländern immer wieder zu teils schweren diplomatischen Verwicklungen und innenpolitischen Verwerfungen. Nebenbei demütigt Trump die Europäische Union, deren Westbalkan-Politik in einer tiefen Krise steckt, die aber immerhin mit mehr Vorsicht agiert.
So etwa tüftelte Trumps Ex-Sicherheitsberater John Bolton das kontroverse Gebietstausch-Szenario zwischen Serbien und Kosovo aus. Richard Grenell, seit knapp einem Jahr Trumps Sondergesandter für Serbien und Kosovo, agiert in der Region in Wildwest-Manier. Mit einer Intrige stürzte er in diesem Frühjahr die kosovarische Regierung von Albin Kurti, die erste echte Reformregierung des Landes. Insgesamt ist Trump bestrebt, in der Region intransparente, über die Köpfe der Öffentlichkeit hinweg abgeschlossene „Deals“ umzusetzen. Autokraten wie Vučić oder den kosovarischen Politclans kommt das gelegen.
Fraglich ist nun, ob Serbien und Kosovo die Kosten-Nutzen-Rechnung des jüngsten Deals für sich selbst richtig kalkuliert haben. Einerseits werden sie durch den prominenten Empfang im Weißen Haus aufgewertet, wichtig vor allem für Kosovo. Anderseits: Ein größerer US-Investitionsschub in beiden Ländern ist kurzfristig nicht zu erwarten.
Am problematischsten scheint die Einbindung beider Länder in Trumps Nahost-Politik: Für Kosovo könnte die Anerkennung Israels bedeuten, dass es die Unterstützung zahlreicher arabischer Staaten verliert. Serbien wiederum hat mit der geplanten Verlegung seiner israelischen Botschaft nach Jerusalem wichtigen Partnern im Nahen Osten und nebenbei auch Russland vor den Kopf gestoßen, zudem setzt es seine EU-Integration aufs Spiel. Deshalb heißt es aus Belgrad derzeit bereits relativierend, die Botschaftsfrage sei nicht abschließend entschieden.
Lukrativ könnte Trumps Deal am Ende allerdings für die „Dealmaker“ selbst sein – nämlich wenn bei großen Infrastrukturprojekten auch für sie persönlich etwas abfällt. Es wäre nicht das erste Mal: Der US-Konzern Bechtel – ENKA baute in Kosovo, einem der ärmsten europäischen Länder, eine der teuersten Autobahnen der Welt. Mitverdiener waren auch ehemalige US-Diplomaten.