Über diesem Gipfel ist Unruhe

Das G20-Treffen an diesem Wochenende offenbart Chinas gewachsene Bedeutung auf internationaler Ebene

21
11
DPA-INFOGRAFIK GMBH
Übersicht der teilnehmenden Staaten am RCEP-Freihandelsabkommen
21
11
DPA-INFOGRAFIK GMBH
Übersicht der teilnehmenden Staaten am RCEP-Freihandelsabkommen

Über diesem Gipfel ist Unruhe

Das G20-Treffen an diesem Wochenende offenbart Chinas gewachsene Bedeutung auf internationaler Ebene

Wenn sich die Staats- und Regierungschefs der wichtigsten Industriestaaten der Welt heute Nachmittag zusammenschalten, liegt Spannung in der Luft: Wird sich aus Washington am Ende wirklich Donald Trump einloggen und mit seinen G20-Partnern diskutieren? Oder schmollt er, weil die meisten Präsidenten, Ministerpräsidenten und auch Kanzlerin Angela Merkel längst seinem Kontrahenten Joe Biden zum Sieg bei der amerikanischen Präsidentschaftswahl gratuliert haben – während Trump seine Niederlage doch noch gar nicht eingestanden hat?

Die Frage der Teilnahme des noch amtierenden US-Präsidenten ist aber ein Grund, warum das Treffen der wichtigsten Industrienationen diesmal anders sein wird als sonst. Früher haftete den Zusammenkünften noch das Image an, der Nukleus für eine Art entstehender Weltregierung zumindest der Wirtschaftsnationen zu sein. Doch am Wochenende wird davon kaum etwas zu spüren sein.

Ein Grund dafür ist die Corona-Pandemie, die verhindert, dass die gastgebenden Saudis einen prunkvollen Gipfel abhalten können. Zwar dämpft die Videoschalte auch die Kritik der Nichtregierungsorganisationen, Klimaschützer und Opposition, die aufgebrandet wäre, wenn die Staats- und Regierungschefs mit großen Regierungsflugzeugen in den Golfstaat gereist wären. Aber die Saudis mussten dafür den Gipfel enorm abspecken. Die Gastgeber hatten keine andere Wahl, als die Beratungen am Samstag und Sonntag auf jeweils kleine Zeitfenster nach der Mittagszeit zu begrenzen. Zu groß sind die Zeitunterschiede zwischen den USA und Australien. Wegen Corona fallen aber diesmal auch die vielen bi- und trilateralen Treffen am Rande der offiziellen Sitzungen weg, die aus den Treffen wirklich globale Krisengipfel gemacht hatten.

Ein weiterer Grund für die derzeit geringere Bedeutung der G20-Gipfel liegt wiederum bei Trump. Seit seinem Amtsantritt im Januar 2017 hat der Präsident der westlichen Supermacht aus seiner Ablehnung, teilweise sogar Verachtung für internationale Abstimmungen den Multilateralismus torpediert. In seiner Amtszeit traten die USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aus, verhängten Strafzölle auch gegen die EU-Partner und kehrten sowohl dem Atomabkommen mit Iran als auch der WHO den Rücken.

Die Folge: In Trumps Amtszeit wurden Gipfelerklärungen mit „19 zu 1”-Passagen etwa zum Klimaschutz verabschiedet, die die Isolation der USA bei diesem Thema zeigten. Bis zuletzt rangen die Sherpas der G20-Regierungen diesmal auch darum, dass es wenigstens bei der Erklärung zur Corona-Pandemie-Bekämpfung nicht zu einem weiteren offensichtlichen Bruch mit Washington kommt.

Dabei zweifeln die meisten Regierungen gar nicht an der Bedeutung des G20-Formats. Gerade erst hatten sich die G20-Finanzminister auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Um- und Entschuldung ärmerer Staaten geeinigt – unter Beteiligung der USA übrigens. Und auf die Regierungschefs wartet die Beschäftigung mit Corona, dem Klimawandel, der nötigen Ankurbelung der Weltwirtschaft. Nicht ohne Grund hatte man auf dem Höhepunkt der Finanzkrise entschieden, dass sich fortan nicht mehr nur die Finanzminister der Industriestaaten, sondern eben auch die Chefs treffen sollten. Globale Probleme können nur global gelöst werden, lautet das Credo.

Allerdings gibt es noch einen weiteren Faktor, der aus diesem G20-Treffen ein besonderes macht: China wird mit einem stark gewachsenen Selbstbewusstsein teilnehmen. Erst am vergangenen Wochenende – quasi als Signal an die westlichen G20-Staaten – hatten 14 asiatisch-pazifische Staaten und China das größte Handelsabkommen der Welt geschlossen. In Europa und den USA war die Überraschung groß, dass es Peking nach acht Jahren Verhandlungen geschafft hat, mit RECP auch Demokratien wie Japan, Südkorea oder Australien zusammenzubinden. Nun verbindet RECP Volkswirtschaften mit einem Drittel des Welt-Bruttosozialprodukts.

Dabei hatte Chinas Staatspräsident Xi Jinping schon vorher Grund für Selbstbewusstsein. Ungeachtet der Kritik am Vorgehen der kommunistischen Führung etwa in Hongkong ist sein Land viel besser und schneller aus der Corona-Pandemie gekommen als andere. Die Anteile in der Weltwirtschaft verschieben sich in der Krise weiter Richtung China.

Das stellt nicht nur den nächsten US-Präsident Biden vor Probleme, der damit leben muss, dass sein Land es nicht schaffte, selbst ein Freihandelsabkommen mit den asiatischen Wirtschaftsnationen zu schließen. Der nächste US-Präsident wird auch damit leben müssen, dass sich Japan, Südkorea und Australien zwar an die USA in der Sicherheitspolitik anlehnen, um Schutz vor einem als immer aggressiver wahrgenommenen China zu bekommen. Aber das RECP-Abkommen zeigt, wie stark auch diese Länder längst in den wirtschaftlichen Sog der künftigen Supermacht geraten sind.

Chinas Aufstieg trifft auch die Europäer zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt: Das Verhältnis der EU-Staaten mit den USA ist nach vier Jahren Trump angeschlagen. Von einem transatlantischen Wirtschaftsabkommen ist man Lichtjahre entfernt. Mit dem nicht abgeschlossenen Brexit leistet sich der alte Kontinent eine Trennungsgeschichte, die alle Beteiligten schwächt. Innerhalb der EU gewinnen langsam, aber sicher protektionistische Tendenzen an Auftrieb. Und in der zweiten Welle der Corona-Pandemie ist das Selbstbewusstsein der Europäer und gerade der Deutschen geschwunden, relativ gut durch die Krise gekommen zu sein: Asiatische Demokratien scheinen einen erfolgreicheren Kurs eingeschlagen zu haben.

Die Krisenstimmung macht bescheiden. „Bei diesem Gipfel geht es einfach darum, das G20-Format über diesen US-Präsidenten hinauszuretten – und auf seinen Nachfolger zu warten“, sagt ein EU-Diplomat ernüchtert.

Weitere Artikel dieser Ausgabe