Der Umschlag von passivem in aktives Handeln oder wie Krisenkommunikation in Zeiten sich auftürmender Herausforderungen wirken kann
Der Umschlag von passivem in aktives Handeln oder wie Krisenkommunikation in Zeiten sich auftürmender Herausforderungen wirken kann
In kaum einem Lehrbuch zur Krisenkommunikation fehlen die sogenannten „goldenen Regeln“ zur Bewältigung einer Krise. Häufig gelistet werden darin Schnelligkeit, Transparenz, Ehrlichkeit, Konsistenz und Verständlichkeit. Qualitäten, die seit Monaten auch im Auftreten des Vizekanzlers Robert Habeck gewürdigt werden.
Doch bei diesen Gütekriterien handelt es sich keineswegs um Raketenwissenschaft. Vielmehr drängt sich der Verdacht auf, dass die Elogen auf Habeck mittlerweile weniger über ihn als das übrige spitzenpolitische Personal aussagen. Offenbar haben Amtierende wie Abgetretene eine politische Kommunikationskultur etabliert, die selbst naheliegende Grundfertigkeiten der Politikvermittlung in einem legitimationsintensiven System außer Acht lässt. So ringt auch der Kanzler im Angesicht der gefühlten kommunikativen Richtlinienkompetenz des Vizekanzlers mit seinem eigenen Kommunikationsstil, wandelte sich bereits von der „Auster“ zum „Fernsehstudio-Hopper“ und mischt seinen botschaftsarmen Schachtelsätzen nun immer öfter hängenbleibende Punchlines („You’ll never walk alone“) bei.
Nun könnte man wohlwollend sagen, Kanzler und Vizekanzler ergänzen sich, vermitteln in der Summe ihrer Unterschiede Gewissheit und Grübelei, Zuversicht und Zumutung, Verlässlichkeit und Veränderungswille. Ein guter Ansatz also, um Vertrauen in das Krisenmanagement der Regierung zu schaffen? Daran kann man zweifeln, jedenfalls tun das recht viele Bürgerinnen und Bürger: 53 Prozent haben nicht das Gefühl, Deutschland könne die sich auftürmenden Herausforderungen wie Krieg, Energieknappheit und Klimakrise bewältigen, berichtete Die Zeit in der letzten Juliwoche. So viel dürfte klar sein: Klassische Krisenkommunikation, selbst wenn sie allen „goldenen Regeln“ der Kunst gerecht wird, reicht nicht für die heutige „Polykrise“, in der dem Wirtschaftshistoriker Adam Tooze zufolge „das Ganze gefährlicher ist als die Summe seiner Teile“.
Eine effektive Polykrisenkommunikation ist freilich ein anspruchsvolles Vorhaben, aber die Regierenden könnten zumindest mit drei Dingen anfangen: Erstens erfordert die Gleichzeitigkeit von Krisen eine Politik, die den Zusammenhang dieser Problemlagen erkennt und vermittelt. „Die einzelnen Krisen existieren nicht einfach nebeneinander, sondern beeinflussen sich gegenseitig“, schreibt Tooze. Exemplarisch lassen sich solche Zusammenhänge an der fossilen Abhängigkeit zeigen, die eine gemeinsame Ursache für Putins prall gefüllte Kriegskasse, explodierende Energiekosten und die Klimakrise ist. Mehr Aufmerksamkeit für solche Verbindungen würde einerseits eine politische Strategie erlauben, deren Versuche zur Deeskalation der einen Krise (Inflation) nicht zur Eskalation einer anderen Krise (Klima) führt – ja, gemeint ist der Tankrabatt. Zum anderen würde ein Zusammendenken der Krisen und der Gegenmittel mehr Übersichtlichkeit für die Bevölkerung schaffen und der Überforderung entgegenwirken.
Zweitens gehört die eigene Handlungsmacht bei der Krisenbewältigung ins Zentrum der Kommunikation. Dafür ist in der Energiekrise eine Wendung des aktuellen Diskurses nötig. Die allgegenwärtige Gefühlslage in der Debatte über die Gasknappheit ist Ohnmacht. Am Mittwoch fließen 40 Prozent durch Nord Stream 1 (Erleichterung!), am Freitag nur noch 20 Prozent (Panik!). Putin hält nicht nur den Gashahn, sondern auch unseren Panikpegel in seinen Händen. Natürlich muss man sich mit der Gasmenge in den Pipelines auseinandersetzen. Aber die zentrale Kennzahl der Krisenkommunikation sollte von uns selbst beeinflussbar sein. Die Füllstände der Gasspeicher sind für viele Menschen zu abstrakt. Doch wie bei Pandemie und Klimakrise hängt auch die Bewältigung der Gaskrise vom Mitwirken aller im Alltag ab. Das Prinzip Flatten the curve ist bekannt. Kurzfristig ist nun die Senkung des Gaskonsums unser Hebel gegen die Krise. Bis März soll der Verbrauch in allen EU-Ländern um 15 Prozent sinken.
Damit ist das Ziel definiert. Um Industrie und Privathaushalte anzuspornen, sollte der Prozentsatz der Gaseinsparung zur wichtigsten Größe der Debatte werden. Bis Ende Juli waren es saisonbereinigt erst 5 Prozent. Wenn das Gasspar-Ziel tatsächlich der „Wir-schaffen-das-Moment“ von Scholz werden soll, wie der Spiegel kürzlich schrieb, ist sein „Nö“ zu Energiespartipps, gelinde gesagt, nicht förderlich. Selbst die Habeck-Kampagne, die den wenig intuitiven Slogan „Energiewechsel“ trägt, wird viele nicht erreichen. Denn zwischen Politik und Teilen der Gesellschaft klafft ein tiefer Vertrauensgraben. Um die Menschen hinter dem Graben für die „gemeinsame Kraftanstrengung“ zu mobilisieren, braucht die Politik sogenannte Trusted Messenger – vertrauenswürdige Botschafter. Solche Vermittler, die in skeptischen Milieus Vertrauen genießen, waren auch bei der erfolgreichen Impfkampagne in Bremen im Einsatz. Für die Energiesparkampagne kommen als „Mikro-Influencer“ etwa Quartierbüros, lokale Verbraucherzentralen und Stadtwerke infrage.
Drittens kann Krisenkommunikation nur überzeugen, wenn sie eine orientierungs- und sinnstiftende Perspektive aufzeigt. Scholz’ Zeitenwende und Habecks unangenehme Wahrheiten sind erstmal nur Diagnosen, noch keine Therapien. Jede gute Erzählung, so kennen wir es seit Kinderjahren, hat nicht nur einen Anfang, sondern auch einen Wendepunkt in der Mitte und ein Ende. Wer den Begriff vom „Narrativ“ nicht nur aus Modegründen, sondern auch zur Krisenbewältigung einsetzen möchte, sollte damit „das Angebot eines Endes zur Auflösung der Krise machen“, wie der Kognitionswissenschaftler Fritz Breithaupt schreibt. Der Wendepunkt der Gaskrise ist der Umschlag von passivem in aktives Handeln. Wenn wir also die Selbstwahrnehmung, Putin spiele mit uns „Katz und Maus“, ablegen und uns als Akteur mit Handlungsmöglichkeit begreifen. Das Ziel des kollektiven Handelns kann in der Regierungskommunikation normativ und emotional aufgeladen werden. Und weil die FDP derzeit am stärksten unter Profilneurose leidet, böte sich eine mehrfache Freiheitserzählung an: Freiheit für die Ukraine, Freiheit von Putins fossiler Energie, Freiheit für unsere Kinder und Enkel – und alles auch noch unter dem schönen Stichwort „Freiheitsenergien“.
Schon jetzt macht sich Krisenmüdigkeit in der Republik breit. Dabei stehen Herbst und Winter, in denen sich Energiekrise und Pandemie voraussichtlich verschärfen werden, erst noch vor der Tür. Das macht eine Politik erforderlich, die das Schlimmste für die am schlimmsten Betroffenen abfedert. Ebenso ist eine politische Kommunikation gefragt, welche die Betroffenen zu Beteiligten an einer hoffnungsvolleren Zukunft macht.