Bis jetzt stümperte die Politik beim Aufbau der Bundeswehr. Das Sondervermögen ist eine neue Chance, aber kein Selbstläufer
Bis jetzt stümperte die Politik beim Aufbau der Bundeswehr. Das Sondervermögen ist eine neue Chance, aber kein Selbstläufer
Das Sondervermögen für die Bundeswehr ist vom Bundestag verabschiedet. Die Zustimmung des Bundesrates ist Formsache. Die im Grundgesetz verankerte Rüstungsagenda von 100 Milliarden Euro ist der Neuansatz, um doch noch die offizielle Streitkräftekonzeption einer Rahmennationenarmee bis Anfang der 2030er-Jahre umzusetzen.
Das entsprechende Fähigkeitsprofil nach Nato-Zielen für die Bundeswehr entwarfen die Militärplaner nach der Krim-Annexion Russlands 2014. Die Investitionen dafür bezifferten die Streitkräfte damals auf rund 130 Milliarden Euro. Doch die Rüstung dafür zerfaserte und versackte rasch.
Verantwortlich dafür waren die regierenden Konservativen und Sozialdemokraten. Die SPD folgte einem verschleppenden Kurs bei der Bundeswehr-Ertüchtigung unter dem Motto, freundlich gesprochen, Der Weg ist das Ziel. CDU und CSU passten sich ohne ernsthaften politischen Widerstand an. Trotz des Lippenbekenntnisses „Bundeswehrpartei“ waren Wehrthemen für die Union schlussendlich doch nicht erstranging.
Diese schlechte Wehrpolitik soll das Sondervermögen nun wettmachen und das gültige Fähigkeitsprofil der Bundeswehr stärken. Der Wirtschaftsplan zum Vermögen listet somit viele überfällige Projekte auf, wie den Wiederaufbau einer mobilen Flugabwehr und eine zeitgemäße digitale Infrastruktur zur verschlüsselten Datenübertragung vom Rechenzentrum bis zum Funkgerät.
Eine massive Leerstelle im Sondervermögen ist jedoch die Artillerie. Für deren Ausbau ist dort kein Vorhaben hinterlegt. Wie die jetzige Phase des Ukrainekriegs im Donbass eindrücklich zeigt, ist leistungsstarkes indirektes Feuer entscheidend, um auf dem Schlachtfeld zu bestehen. Die Bundeswehr ist dort mit vier Bataillonen schwach aufgestellt.
Zudem suggeriert die Regierungskoalition in ihrer Kommunikation gerne, das Sondervermögen sei auch ein großer militärischer Wurf nach vorne. Doch jüngste Entwicklungen der Kampfführung erfasst es nicht. So enthält der Wirtschaftsplan kein Vorhaben für sogenannte „Kamikazedrohnen“ – Munition, die sich selbstständig Ziele sucht. Im Bergkarabach-Krieg und jetzt in der Ukraine zeigen sich entsprechende Waffensysteme als wertvolles Kriegsmittel.
Auch ist das Sondervermögen kein Selbstläufer. Durch seine Verankerung im Grundgesetz stellt es lediglich sichere Kredite zur Finanzierung der Rüstung bereit. Damit die Beschaffung an sich gelingt, soll das Vermögen mit einem „Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz“ flankiert werden. Schon dem zweiten innerhalb von zwei Jahren. Laut Entwurf sind für die Rüstung Ausnahmen vom Wettbewerbsrecht geplant. Im Kern sollen die Möglichkeiten unterlegener Unternehmen verengt werden, gegen Vergabeentscheidungen vorzugehen, um Verzögerungen zu minimieren. Da dies einen massiven Eingriff in die Wettbewerbsordnung darstellt, ist das Gesetz nur für fünf Jahre vorgesehen.
An jenem Punkt wird eine generelle Krux der Bundeswehrrüstung deutlich. Zeitenwende hin oder her: Deutschland ist qua Selbstverständnis zuvorderst eine Handelsmacht, für die die Regeln gleichen Wettbewerbs an erster Stelle stehen. Für den zielgerichteten Aufbau und Betrieb leistungsfähiger Streitkräfte sind solche Prinzipien oft hinderlich. Selbst wenn das kommende Beschleunigungsgesetz wirkt, droht die Gefahr, dass nach fünf Jahren die bekannten Verschleppungen wiederkehren.
Dabei zeigt die Notwendigkeit für das Sondervermögen überdeutlich: Das Rüsten ernsthafter Streitkräfte ist eine staatspolitische Daueraufgabe. Generalinspekteur Eberhard Zorn betonte, dass die Projekte des Sondervermögens einer „systemischen Rüstung“ folgen. Das heißt, nicht nur das Waffensystem wird beschafft, sondern zugleich auch entsprechende Munition, Ersatzteile und Co. Bis dato war ein solches Vorgehen nicht der Fall, was zu Ausfällen und teuren Nachbestellungen führte.
Das Sondervermögen dient dazu, den verstetigten Wehretat auf die Nato-Quote von zwei Prozent des BIP zu heben – für maximal fünf Jahre. Ob die Rüstungsfinanzierung und -planung danach systematischer bleiben, ist völlig offen. Bis dato zeigen sich die beteiligten Akteure wie der Bundestag wenig offen für Werkzeuge wie ein Programmgesetz, mit dem durchgängig die wichtigsten Beschaffungsvorhaben festlegt, finanziert und geprüft werden.
Geht es um Letzteres, wurde beim Sondervermögen bereits eine Chance verpasst. Das einzurichtende legislative Begleitgremium wird nur mit Mitgliedern des Haushaltsausschusses besetzt und nicht auch aus dem Verteidigungsausschuss. Dabei steht dieser noch am ehesten für das Einbringen originär militärischer Interessen, die in der Bundesrepublik traditionell zu kurz kommen.
Was zum Sondervermögen noch gänzlich fehlt, ist ein Plan, wie das beschaffte Material samt Personal sinnvoll strukturiert und geführt wird. Die Militärführung hat seit 2018 eine Reform der Führungsstruktur erarbeitet. Deren Kernziel ist es, die Bundeswehr wieder in schnell mobilisierbaren Großverbänden aufzustellen. Doch das Vorhaben wurde aufgrund der Pandemie spät aufgegleist und durch den Regierungswechsel bald gestoppt. Die Ampel-Koalition hatte eine Bestandsaufnahme der Streitkräfte durch das Verteidigungsministerium gebilligt. Das Ergebnis dieser Bestandsaufnahme samt Vorschlag zum weiteren Vorgehen sollte im Wehrressort Ende Mai vorliegen, so der damalige Anspruch. Jetzt ist aber erstmal Zeitenwende.