Vatikanischer Populismus

Warum Franziskus und Deutschland schlecht zusammenpassen

25
03
PICTURE ALLIANCE/EPD-BILD | TIM WEGNER
Gremienkatholiszismus: Synodalversammlung der katholischen Kirche in Frankfurt.
25
03
PICTURE ALLIANCE/EPD-BILD | TIM WEGNER
Gremienkatholiszismus: Synodalversammlung der katholischen Kirche in Frankfurt.

Vatikanischer Populismus

Warum Franziskus und Deutschland schlecht zusammenpassen

Als Jorge Bergoglio vor zehn Jahren vom Balkon des Petersdoms die Menge mit einem schlichten „buona sera“ begrüßte, war die Welt entzückt. Schon der Name, den er als Papst gewählt hatte, war Programm: Franziskus. Der Mann „vom Ende der Welt“ nahm sich den Bettelmönch aus dem 13. Jahrhundert zum Vorbild. Eine revolutionäre Geste, die er mit einprägsamen Symbolen verband. Er verzichtete auf Insignien wie die von seinem Vorgänger Benedikt so geliebte Hermelinkappe, fuhr im kleinen Fiat statt in Staatskarossen, zog zwei Zimmer im vatikanischen Gästehaus dem Papstpalast vor und sprach Worte, die wie eine Kampfansage an die Kurie klangen: „Der Karneval ist vorbei.“ Da kam Hoffnung auf.

Zehn Jahre später scheint der 86-Jährige nicht nur körperlich an die Grenzen seiner Möglichkeiten gekommen zu sein. Die Erwartungen einer Reform der Kirche sind verflogen. Zwar hat Franziskus bei seinen Kardinalsernennungen wie keiner seiner Vorgänger die fernsten Weltgegenden berücksichtigt und seine Kirche tatsächlich von den Rändern her neu aufgestellt. Doch die Macht der Kurie in Rom scheint ungebrochen, die katholische Kirche, mittlerweile die größte Glaubensgemeinschaft mit mehr als 1,3 Milliarden Anhängern und vor allem im Süden wachsend, ist gespaltener denn je. Zwischen aggressiv-reaktionären Würdenträgern in den USA, die den katholischen Präsident Joe Biden wegen seiner Haltung zur Abtreibung von der Kommunion ausschließen wollen, und verzagt-liberalen Deutschen wirkt der Papst hilflos. Sein immer noch sympathisch-zugewandter Duktus hat ihm nicht geholfen, die in zahlreichen Ungleichzeitigkeiten feststeckende Kirche zusammenzuführen. Auf Konfliktfragen wie den Umgang mit Homosexuellen antwortet er zwar in Interviews ungewohnt persönlich („Wer bin ich, um über ihn zu richten?“) – seine Kraft reicht aber nicht, um Homosexualität aus dem katholischen Sündenkanon zu streichen. Franziskus ist mehr Pastor als Politiker – Führung zu übernehmen wäre aber nötig, damit die Kirche Jahrzehnte der Selbstbeschäftigung hinter sich bringen, Anschluss an die Moderne finden und wieder ein über sich selbst hinaus wirkender Faktor werden kann.

Besonders schwierig entwickelte sich das Verhältnis zur deutschen Kirche. Mehr als einem Gast aus dem Land der Reformation hat er mitgegeben, eine protestantische Kirche sei genug. Er verletzte damit sowohl ökumenische Empfindlichkeiten, erschwerte aber auch die Erneuerung der durch tausende Missbrauchsfälle schwer angeschlagenen deutschen Kirche. Dabei geriet Franziskus immer mehr in Widersprüche. Zuerst forderte er regionale Verantwortung ein und schien damit der Realität einer Kirche, die in Erster und Dritter Welt, vor- und postmodernen Gesellschaften gleichzeitig unterwegs ist, gerecht zu werden. Aber er zuckte immer zurück, wenn Stützpfeiler der katholischen Doktrin ins Rutschen kamen. Prägnantestes Beispiel: Zunächst ermutigte er eine „Amazonas-Synode“, Antworten auf die Realität eines pastoralen Raums fast ohne Priester zu finden, dann schob er Vorschläge aufs Wartegleis, dass auch verheiratete Männer zu Priestern geweiht werden und Eucharistiefeiern vorstehen können.

In Widersprüche zwischen geforderter Regionalisierung und vatikanischer Maßregelung geriet auch die deutsche Kirche. Wie nie zuvor seit der Kirchenverfolgung unter Bismarck oder den Nationalsozialisten steht sie wegen der bis heute weder vollständig aufgeklärten noch aus Opfersicht bewältigten Missbrauchsfälle unter Druck und verliert Jahr für Jahr hunderttausende Mitglieder. Der Glaubwürdigkeitsverlust ist enorm, die Teilnahme an Gottesdiensten ist seit Beginn der Pandemie noch einmal zurückgegangen. Diese Krise war Ausgangspunkt für den sogenannten „Synodalen Weg“, der nach drei Jahren gerade in Frankfurt abgeschlossen wurde. Ziel war neben der Aufarbeitung des Missbrauchs, die seit Jahrzehnten ungelösten Fragen in einen strukturierten Dialog zwischen gewählten katholischen Laien und Bischöfen zu bringen: Rolle der Frau, Umgang mit Homosexuellen, Priestertum und Ehelosigkeit, Pastoral für wiederverheiratete Geschiedene. Die Endlosschleife ungelöster theologischer Themen nimmt selbst den engagiertesten Gläubigen die Luft zum Atmen. Ganz abgesehen davon, dass die Kirche als moralische Instanz für die Gesellschaft oder Wertevermittlerin angesichts von Krieg und Klimakrise praktisch ausfällt.

Während selbst die konservativsten deutschen Bischöfe vor dem Hintergrund des drohenden Verlusts von Privilegien wie dem Kirchensteuerverfahren, der Bezahlung der Bischöfe durch den Staat oder der Mitwirkung an gesellschaftlichen Aufgaben im Rahmen des Subsidiaritätsprinzips nur noch im Dialog mit den Laien Rettung sahen, entwickelte der Vatikan die Idee einer Art Welt-Synode. Aber unter ganz anderen Vorzeichen: Auf jedem Kontinent sollten Gläubige ihre Sicht auf Kirche und Gesellschaft zusammen- und den jeweiligen Regionalbischöfen vortragen, als Grundlage für einen Veränderungsprozess, in dem schließlich der Papst das letzte Wort hat. Vielerorts haben diese Synoden begonnen, auch in Europa, wie kürzlich in Prag. Dort prallten katholische Welten heftig aufeinander. Suchte die Kirche in Deutschland nach einer offenen Haltung gegenüber LGBTQ-Menschen, wurden beispielsweise in Polen schwulenfreie Zonen ausgerufen und rabiate Homosexuellen-feindliche Parolen kirchlich abgesegnet. Der Vatikan verhinderte das nicht. Die regierende PiS wird Gender- und Identitätsfragen im Wahlkampfjahr 2023 in den Vordergrund stellen und darf dabei auf klerikale Unterstützung hoffen. Aus Ungleichzeitigkeiten sind handfeste innerkirchliche Widersprüche geworden. Durch sein Schweigen hat Franziskus einen katholischen Kulturkampf eskalieren lassen.

Zwischen Franziskus und Deutschland steht über die Inhalte hinaus ein grundverschiedener Ansatz zum Verhältnis zwischen Kirchenvolk und Bischöfen. Franziskus spricht oft vom „pueblo de dios“ in der pastoralen und sozialrevolutionären Tradition der lateinamerikanischen Kirche. „Sich mit dem Volk Gottes auf den Weg machen“ – das wurde zu einer Formel, die in den 1970er- und 1980er-Jahren mit Protagonisten wie Ernesto Cardenal oder dem Befreiungstheologen Gustavo Gutiérrez bis nach Deutschland wirkte. Doch während sich in Lateinamerika Bischöfe mit Amtsautorität schützend vor politisch und ökonomisch marginalisierte Menschen stellten und die „Option für die Armen“ wählten (es gab auch andere, die auf Seiten der Unterdrückungsregimes blieben), waren in Europa, vor allem in Deutschland, die Verhältnisse doch ganz anders.


FOTO: PICTURE ALLIANCE/DPA | FRANK RUMPENHORST



Deutsche Katholiken haben in der Folge der 1848er-Revolution basisdemokratische Mitwirkungselemente eingeübt und schon 1868 das „Zentralkomitee der Katholiken“ als Vertretung der katholischen Laien gegründet. Ein in viele Gesellschafts- und Berufsschichten auskragendes Vereins- und Verbandswesen wurde entwickelt, Parteien kamen dazu. Im Kern ist das System bis heute erhalten, wenn auch von deutlich geringerer Relevanz und politischer Strahlkraft als vor Jahrzehnten. Der „synodale Weg“ ist ein Produkt dieses spezifisch deutschen Kirchenverständnisses: eine Art von Parlament mit Delegierten, vereinbarten Arbeitsregeln, festgelegten Redezeiten, alphabetischer Sitzungsordnung. So musste der Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki mitten unter den Delegierten ziemlich weit hinten Platz nehmen. Laien und Bischöfe gleichberechtigt, Mehrheits­abstimmungen (das Gremium wäre nicht katholisch, wenn es in bestimmten Fragen den Bischöfen kein Quorum zugebilligt hätte) – das ist fast das Gegenteil von der beschützend-paternalistischen Sicht auf das Verhältnis von Volk und Amtsträgern, die Franziskus aus Lateinamerika mitgebracht hat.

In Frankfurt war man stolz darauf, dass der synodale Weg ohne Eskalation mit kleinsten Kompromissen und gefügigen Bitten zu Ende ging. Hauptergebnis: Innerhalb von drei Jahren soll eine Richtlinie zur Segnung homosexueller Paaren erarbeitet werden, auch wenn diese Segnungen schon heute häufig Praxis sind. Offenbar wollte man der Weltkirchen-Synode Zeit lassen, der Papst sollte sein Gesicht wahren können.

Der Vatikan steht nun vor der Frage, wie er auf die Ergebnisse des synodalen Wegs reagiert. Einen Dialog auf Augenhöhe mit den deutschen Laien hat er bisher nicht nur verweigert, sondern sogar unterstellt, dass diese Art von repräsentativer Vertretung nicht adäquat für das Kirchenvolk sei. Quasi-demokratische Organisations- und Verfahrensfragen, zugespitzte Diskussionen und Forderungen passen schlecht zu dem verklärten, auf eine Art mythologisierten Verständnis des heutigen Papstes vom „Volk Gottes“ und dessen Verhältnis zu den Kirchenführern.

In der Politik versteht man unter Populismus ein zielgerichtetes, destruktives Misstrauen gegenüber Institutionen, das sich bestimmte Führer zu eigen machen, um ihre Interessen und politischen Ziele durchzusetzen. Leider scheint das auch für den einstigen Hoffnungsträger Bergoglio zu gelten. Aus ihm ist ein Papst geworden, der – jedenfalls in Bezug auf die Kirche in Deutschland – seine eigene Konzeption des Volks wichtiger nimmt als die Institutionen, die die Katholiken hierzulande sich selbst geschaffen haben. Von Franziskus hat Deutschland nicht viel zu erwarten.

Weitere Artikel dieser Ausgabe