Verfall

Postskriptum

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Verfall

Postskriptum

„Denn worauf gründet Autorität, wenn nicht auf dem Gehorsam der wie hypnotisierten Massen?“, legt der US-Autor Richard Lourie seinem Protagonisten in den Mund. In dem 1999 erschienenen Roman „Stalin. Die geheimen Aufzeichnungen des Jossif Wissarionowitsch Dschugaschwili“ sinniert der sowjetische Diktator darüber, wie sehr er selbst gefährdet ist, sei er doch ebenso einfach umzubringen wie jeder andere. Und umbringen könnten ihn nicht nur seine Untertanen, sondern vielleicht gerade auch seine Gefolgschaft. Warum es bisher noch nicht dazu gekommen sei? „Weil noch niemand das Wort ausgesprochen hat, das den Bann bricht.“

Jörg Baberowski nimmt die Szene in seinem beklemmenden Buch „Räume der Gewalt“ (2015) zum Ausgangspunkt für seine Überlegungen, in welchem Zusammenhang Macht und Gewaltanwendung stehen. Einer der zentralen Gedanken lautet, je wirkungsvoller die Macht sei, desto weniger werde sie bemerkt: „Sie wirkt im Stillen, und wo sie auf sich hinweisen muss, ist sie schon in Gefahr.“

Die entsetzlichen Bilder aus Butscha in der Ukraine diese Woche haben nur noch stärker verdeutlicht, welch eine hemmungslose Kriegsführung die russischen Truppen an den Tag – oder treffender: an die finstere Nacht legen. Putins Krieg ist nicht still, sondern laut und roh. Entsetzen verbreiten auch die zahlreichen Berichte dieser Tage, welche Wirkung die russische Propaganda offensichtlich in der Bevölkerung erzeugt. Die Menschen in der Ukraine sollen „Nazis“ sein, die Gräueltaten eine Erfindung von Geheimdiensten, die Bilder eine Fälschung des „Westens“.

Daraus ungebrochen optimistische Schlussfolgerungen zu ziehen, verbietet sich angesichts des Leids und des Elends. Und doch offenbart sich in den gerade im vermeintlich auftrumpfenden Propagandaeinsatz der vom Regime gleichgeschalteten Medien die Schwäche des Herrschaftsapparats. Damit lässt sich noch kein Verfallsdatum benennen, aber die Diskrepanz zwischen Wirklichkeit und Fiktion ist zu groß, das Lügengebilde zu wurmstichig, der Lärm zu schrill – als dass der dafür notwendige Machteinsatz über einen längeren Zeitraum aufgebracht werden könnte. Der Bann wird brechen.

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