Postskriptum
Postskriptum
Im vergangenen Jahr erschien ein Essay Peter Strassers mit dem sinnfälligen Titel „Umdrehen und Weggehen. Eine Ethik der Abwendung“ – und die Thesen des Grazer Philosophen könnten in diesen Tagen der Pandemie und der Enthemmung auf Seiten derjenigen, die lieber so täten, als gäbe es sie nicht, aktueller und dringlicher nicht sein:
„Wir sollten einander mehr in Ruhe lassen.“
Kultur sei ein gegen den biologischen Druck gerichtetes Medium der Entdichtung, schreibt Strasser: „Es gibt kulturell eingeschliffene Verfahren, um aus der Enge der menschlichen Begegnungen den emotionalen Druck herauszunehmen, ja, ihn erst gar nicht entstehen zu lassen, weil eine bestimmte ‚Interpretation‘ oder symbolische Modulation der Dichte dazu führt, dass sich der Raum, in dem wir leben, erweitert.“
Obwohl noch nicht mit Blick auf die Pandemie geschrieben, wirken vor allem die Überlegungen zum notwendigen Abstand bestechend. Dabei ist die Idee sowohl auf die räumliche Entfernung als auch auf die innerliche Distanzierung gemünzt.
Wie könnte eine zivilisierte Kultur der Abwendung aussehen?
Da wäre zunächst das Gebot, Sektierern und Narren weniger Aufmerksamkeit zu schenken. Deren Verhalten ist zumeist alles andere als zivil, aber Aggressivität, feindselige Grundstimmung und die ständige drohende Konfrontation beeinträchtigt auch das Verhalten und die Verfassung aller anderen.
Man könnte die Gegenprobe an – derzeit – vermeintlich weniger politisch aufgeladener Stelle einmal ausprobieren: im Straßenverkehr. Ganz gleich, ob mit Auto, Fahrrad oder zu Fuß, ganz gleich, wer gerade wessen Vorfahrt missachtet oder zu eng überholt oder zu spät losgefahren ist – einmal nicht laut geworden, nicht wild gehupt oder den Vogel gezeigt, sondern entschuldigend bis entwarnend die Hand gehoben, und dann weitergezogen – man dürfte staunen, wie sein Gegenüber reagiert.
Und wie wohltuend es für einen selbst sein kann, sich eben einmal einfach nicht zu empören. Das ist weder praktisch leicht noch philosophisch banal. Den Vorsatz, den es dazu bedarf, hat Peter Sloterdijk in seinem so gelehrten wie gewitzten Buch „Du musst dein Leben ändern“ als anthropotechnische Übung veredelt. Uns allen: Gutes Gelingen.