Kolumne | Mail aus Amerika
Kolumne | Mail aus Amerika
Groß ist die Aufregung in Berlin über die nicht eben reibungslos verlaufene Wahl zum Abgeordnetenhaus am 26. September. In mehr als 200 Wahllokalen kam es zu Unregelmäßigkeiten, in 78 musste die Wahl bis zu zwei Stunden, nun ja, „unterbrochen“ werden, es gab keine Wahlzettel mehr oder es waren die falschen geliefert worden. In 1173 Fällen blieb bis nach 18 Uhr geöffnet, mitunter bis 21 Uhr. Die Landeswahlleitung selbst hat Einspruch gegen die Wahlergebnisse beim Berliner Verfassungsgerichtshof angekündigt.
Der Vergleich mit jüngsten Ereignissen hier in den USA soll die Unzulänglichkeiten und Nonchalance, die Berliner Wurstigkeit, nicht schönreden. Aber wenn ich meinen Freunden und Bekannten in Washington, Demokraten und moderaten – sprich Anti-Trump – Republikanern von den Zuständen in meiner langjährigen zweiten Heimat erzähle, lächeln sie nur müde bis melancholisch. In den USA hat der Kampf gegen das demokratische Grundrecht schlechthin, die freie und gleiche Wahl, nicht erst mit dem ehemaligen Präsidenten begonnen.
Mit der Unterstützung des Establishments der Republikaner, die sich bis heute unwillig oder unfähig zeigen, sich vom Trumpschen Irrsinn zu verabschieden, veranstalteten die willfährigen Lakaien des former guys in Arizona nach den Präsidentenwahlen einen monatelangen Zirkus, in dem sie die Stimmzettel abstrusen Prüfungen unterzogen – unter anderem mittels UV-Licht, mit dem angeblich erkennbar sein sollte, ob das verwendete Papier Bambusfasern enthalte. Diese sollten als Indiz dafür gelten, dass die Wahlunterlagen in China manipuliert und anschließend eingeflogen und in die Wahllokale eingeschleust worden seien.
Durchgeführt wurde diese „Untersuchung“ von einer Firma namens „Cyber Ninjas“, gegründet von einem gewissen Doug Logan in Florida. Logan und sein Unternehmen haben zwar keinerlei Erfahrung mit Wahlprüfungen, auf seinem Twitter-Account gab sich der Firmenchef aber als kruder Verschwörungstheoretiker zu erkennen. Die Wahlmaschinen zur elektronischen Stimmabgabe im Jahr 2020 sollen auf Geheiß von Hugo Chavez, dem diktatorischen Regierungschefs Venezuelas, zugunsten Joe Bidens manipuliert worden sein. Chavez verstarb, nebenbei bemerkt, 2013.
Das Ergebnis der „Untersuchung“ in Arizona lautete schließlich vor wenigen Tagen: Kein Bambus – aber tatsächlich wurde nicht richtig gezählt. Allerdings: Entgegen all den großmäuligen Behauptungen aus dem Trump-Lager, waren es Joe Biden und Kamala Harris, auf die am Ende 360 Stimmen mehr entfielen.