Wann, wenn nicht jetzt

Der Staat, eine Erneuerungsaufgabe – nicht nur im Katastrophenschutz

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PICTURE ALLIANCE/GEISLER-FOTOPRESS
Gemischte Zuständigkeiten: Nach dem Jahrhunderthochwasser in der Eifel 2021 waren Polizei, THW, Bundeswehr und Feuerwehr an den Aufräumarbeiten beteiligt.
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Gemischte Zuständigkeiten: Nach dem Jahrhunderthochwasser in der Eifel 2021 waren Polizei, THW, Bundeswehr und Feuerwehr an den Aufräumarbeiten beteiligt.

Wann, wenn nicht jetzt

Der Staat, eine Erneuerungsaufgabe – nicht nur im Katastrophenschutz

Unser tägliches Leben wird weiter von der Pandemie bestimmt. Wir müssen Lehren ziehen aus den gemachten Erfahrungen – und dabei beziehe ich mich nicht nur auf Corona, sondern auf alle Krisen der vergangenen Jahre, die Terrorkrise, die Flüchtlingskrise, die Finanzkrise, Flutkrisen. Das muss man analysieren.

Mich haben immer die langen Linien in der Politik interessiert und angetrieben – ich mahne an, dass die Corona-Pandemie die letzte Krise sein sollte, die uns so unvorbereitet erwischt hat. Dass ein so großes Land wie Deutschland keine nationale Katastrophenschutzregelung hat, ist weltweit vermutlich einmalig – und sollte nicht so bleiben.

Wir müssen als Staat und als Gesellschaft akzeptieren, dass Krisen zur Normalität gehören. Da können wir von der Wirtschaft lernen. Denn in der Wirtschaft ist ein Umgang mit Umwälzungen und Umbrüchen ganz normal. Krisen werden in Unternehmen mitgedacht und im Risikobericht berücksichtigt. Eine nachhaltige Unternehmensführung beinhaltet, in der strategischen Planung mit Zukunftsszenarien – positiven, wie negativen – zu arbeiten und zugleich Rücklagen zu bilden.

Als ich im Sommer 2016 bei der Vorstellung eines neuen Zivilschutzkonzeptes den Vorschlag einbrachte, die Menschen sollten für den Notfall vorsorgen, zumindest einen Wasservorrat und einige Lebensmittel im Keller haben, brach ein regelrechter Shitstorm über mich herein, mir wurde vorgeworfen, ich würde Panikmache betreiben.

Wir haben ein krasses Missverhältnis: Privat versichern sich die Deutschen gegen alles Mögliche und geben dafür viel Geld aus. Wenn es der Staat macht, wird ein solches Vorgehen jedoch als Panikmache empfunden. Der Bund muss die Zuständigkeit für überregionale Katastrophen bekommen – es muss gar nicht die alleinige sein. Aber im Moment ist es so, dass die Kommunen und das Land zuständig sind – und der Bund ist außen vor. Wir behelfen uns mit Absprachen, wir behelfen uns mit Amtshilfe der Bundeswehr – aber das ist kein Zustand. Eine Krisenvorsorge, eine Pandemievorsorge, eine Bevorratungs­vorsorge, ein großes Lagezentrum, in dem Bund, Länder und Kommunen täglich gemeinsam arbeiten – das muss bundesweit koordiniert werden.

Ich möchte dabei nicht den Föderalismus abschaffen. Deutschland hat engagierte Landes- und Kommunalpolitiker, die mit regionalen Modellprojekten Wege aus der Krise suchen. Aber wenn es irgendwo gar nicht läuft, braucht der Bund die Möglichkeit, dazwischenzugehen. Wenn wir einen großen Stromausfall haben, muss geklärt sein, welche öffentlichen Gebäude auch dann noch funktionieren müssen. Das kann nicht jeder Landkreis für sich machen. Wir brauchen bundesweite Zuständigkeiten für national verbindliche Vorgaben.

Um es klar zu sagen: Wir brauchen ein Katastrophenschutzgesetz des Bundes – und dafür müssten wir das Grundgesetz ändern. Doch nicht nur das. Deutschland ist eine gefestigte Demokratie, anerkannt in der Welt. Unsere Leistungsfähigkeit insgesamt sowohl wirtschaftlich als auch die des Staates ist beachtlich.

Aber unsere Strukturen sind verkrustet, der Motor läuft schwerfällig und bindet zu viele Ressourcen, hat Schwierigkeiten, sich in einer sich immer schneller drehenden, komplexeren Welt agil zu behaupten. Der Modernisierungsbedarf ist erheblich. Überbordende Vorschriften bremsen Unternehmen, Bürger, wichtige Investitionen und Infrastrukturprojekte. Die Digitalisierung im öffentlichen Sektor hinkt den technischen Möglichkeiten weit hinterher. Auch die Staatsquote in Deutschland ist von 32,9 Prozent im Jahre 1960 auf mittlerweile 51,3 Prozent angestiegen.

Nicht nur akute Krisen wie die Corona-Pandemie oder die Flutkatastrophe, sondern auch langfristige Veränderungen wie der Klimawandel, internationale Sicherheitsentwicklungen, Migration und Digitalisierung stellen staatliches Handeln auf den Prüfstand. Ein weltweiter Systemwettbewerb, der unser Wirtschaftsmodell und die Leistungsfähigkeit der Verwaltung herausfordert und unsere gesellschaftlichen Werte in Frage stellt, erhöht den Handlungsdruck zusätzlich.

Seit Jahren werbe ich daher für eine umfangreiche Reform unseres Staates. Mir geht es hier nicht um ein Reförmchen, um kleine Veränderungen, sondern um eine große Staatsreform. Für einen zukunftsfähigen Staat, der funktioniert. Wir müssen in der Verwaltung wieder Weltmeister werden. Dazu brauchen wir eine umfassende, ressortübergreifende und grundlegende Verwaltungsreform. Eine Reform, die Vereinfachung, Vereinheitlichung, Bündelung, Flexibilisierung und Beschleunigung bringt.

Im vergangenen Jahr habe ich daher für die Konrad-Adenauer-Stiftung mit Expertinnen und Experten aus Politik (Bund, Länder, Kommunen), Verwaltung, Wirtschaft und Wissenschaft, konkrete und praxisorientierte Vorschläge für die Modernisierung des deutschen Staates erarbeitet.

Unseren Bericht „Für einen handlungsfähigen deutschen Staat – Vorschläge für eine Staatsmodernisierung in der Legislaturperiode 2021 – 2025“ haben wir im Oktober 2021 der Öffentlichkeit vorgestellt (kas.de).

Dazu identifizierten wir drei Schwerpunkte, die stark miteinander verschränkt sind. Der Schwerpunkt „Politische Steuerung und Staatsaufbau“ konzentriert sich auf strategische Fragen der politischen Entscheidungsprozesse im Bund sowie zwischen Bund und Ländern. „Verwaltungsmodernisierung und Digitalisierung“ will die konkreten Personal- und Arbeitsprozesse staatlichen Handelns verbessern, um so den Bürgerinnen und Bürgern bessere Dienstleistungen zu liefern. Dazu gehört beispielsweise auch die Beschleunigung der Planfeststellungs- und Genehmigungsverfahren und die Vereinheitlichung des Vergaberechts. Unter dem Schwerpunkt „Krisenvorbereitung und Krisenreaktion“ schließlich werden Vorschläge zur Stärkung der Resilienz des Staates im Umgang mit Krisen gemacht, wie ein Bundeskrisenschutzgesetz, das die Zuständigkeiten und Kompetenzen eindeutig regelt, etwa durch einen ebenenübergreifenden Krisenstab. Der staatliche Krisen- und Katastrophenschutz sollte durch die Einrichtung einer ständigen zivilen, abrufbaren Reserve von Bürgerinnen und Bürgern unter Federführung des Technischen Hilfswerks (THW) ergänzt werden.

Ziel des Papiers sind Vorschläge, die den folgenden Ansprüchen genügen: durchsetzbar, umsetzbar, finanzierbar. Die Zeit ist günstig für solche wichtigen Weichenstellungen. Das weitgehend einhellige Fazit über alle Parteigrenzen hinweg lautet, dass der deutsche Staat umfassend modernisiert werden muss. Indes, die Modernisierung eines Staatswesens, das sich in vielerlei Hinsicht lange erfolgreich bewährt hat, bedarf nicht allein der großen Ideen, sondern auch der richtigen Hebel für konkrete Veränderungen und des präzisen Justierens einiger integraler Stellschrauben.

Wir haben daher mit unserem Papier konkrete Vorschläge gemacht und würden uns freuen, wenn diese parteiübergreifend aufgegriffen und grundsätzlich angegangen werden. Denn Deutschland braucht eine große Staatsreform. Jetzt ist die Zeit.

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