20 Jahre Afghanistan Einsatz: Nicht einfach abhaken, sondern Lehren für die Zukunft ziehen
20 Jahre Afghanistan Einsatz: Nicht einfach abhaken, sondern Lehren für die Zukunft ziehen
Nach zwanzig Jahren endet der Militäreinsatz in Afghanistan abrupt und leider nicht als Erfolg. Die Hoffnung auf eine sichere, bessere Zukunft für die Menschen vor Ort hat sich an vielen Stellen nicht erfüllt. Die Sicherheitslage bleibt extrem schlecht und das Gewaltniveau hoch. Bei den Menschen ist die Enttäuschung über die eigenen politischen Eliten immens und die Sorge vor einem noch stärkeren Einfluss der Taliban groß. Die Absage der Istanbul-Konferenz durch die Taliban ist ein herber Rückschlag für die Chance auf echte politische Verhandlungen mit der afghanischen Regierung. Die internationale Gemeinschaft muss diese Gespräche trotzdem mit Nachdruck weiter einfordern und unterstützen. Es sind gerade unsere Partner aus der erstarkten Zivilgesellschaft und unter ihnen besonders die mutigen Frauen, die fürchten, dass ihre Rechte und auch die positiven Errungenschaften als Erstes unter die Räder kommen.
Es endet ein Einsatz, der die Bundeswehr und auch die deutsche Sicherheitspolitik heftig verändert hat. Es war der gefährlichste Einsatz für die Soldatinnen und Soldaten, es war ein Krieg. Soldaten sind gefallen und an Seele und Leib verwundet zurückgekehrt. Ein deutscher Oberst befahl die Bombardierung eines Tanklasters, unter den Opfern zahlreiche Unschuldige. Viele Polizistinnen und Polizisten, zivile Expertinnen und Experten haben sich unter großer persönlicher Gefahr für die Zukunftsperspektiven der Menschen und den Wiederaufbau in Afghanistan eingesetzt.
War das alles umsonst? Was bleibt und was folgt? Es sind Fragen, die sich Regierung und Parlament unabhängig vom Abstimmungsverhalten der Vergangenheit dringend stellen sollten. Der Abzug markiert das Ende dieses schwierigen Einsatzes. Nicht aber das Ende der Verantwortung gegenüber den Menschen in Afghanistan und auch all denjenigen gegenüber, die sich für eine bessere Zukunft in Afghanistan eingesetzt haben.
Das deutsche Engagement in Afghanistan muss weitergehen, auch wenn es sich sicher sehr verändern wird. Wer nicht möchte, dass die Verbesserungen der vergangenen Jahre für die Zivilgesellschaft oder auch im Bildungsbereich bald wieder der Vergangenheit angehören, muss sich im Rahmen der Möglichkeiten auch weiter verlässlich politisch und finanziell engagieren. Viele Ortskräfte, die mit uns zusammengearbeitet haben, fürchten um ihr Leben und das ihrer Familien. Dort braucht es schnelle Hilfe und vereinfachte Aufnahmeprogramme, dafür haben wir uns auch erneut über Fraktionsgrenzen hinweg im Bundestag eingesetzt.
Die Geschichte des militärischen Engagements in Afghanistan offenbart viele verpasste Chancen. In den ersten friedlicheren Jahren hätte deutlich mehr für den zivilen Wiederaufbau getan werden müssen. Gerade auch die vielen kritischen Fragen der Soldatinnen und Soldaten werde ich nie vergessen, warum zivil und politisch nicht genug passiert, während sie ihr Leben riskieren, um einen sicheren Rahmen für zivile und politische Lösungen zu schaffen.
Viel zu selten wurden Momente des Aufbruchs und der Hoffnung genutzt. Sei es nach den Präsidentschaftswahlen 2014, wo auf den Mut und die Aufbruchsstimmung einmal mehr Korruption und Klientelwirtschaft folgten, oder auch nach den jüngsten Präsidentschaftswahlen, die von Betrugsvorwürfen überschattet wieder in einem politischen Patt endeten. Immer mehr Militär und ein immer offensiveres Vorgehen haben nicht zu mehr Sicherheit geführt, teilweise sogar zu mehr Gewalt und Radikalisierung beigetragen. Am Ende kann man echten Frieden nicht militärisch erreichen und Terrorismus nicht militärisch besiegen.
Allerdings bleibt auch die Erkenntnis, dass ohne ein Mindestmaß an Sicherheit, einem guten Staat, verlässlichen Sicherheitskräften und ohne echte Lebensperspektiven immer mehr Nährboden für Konflikte entsteht und auch gut gemeinte Ansätze in ihrer Wirkung begrenzt bleiben.
Es stellen sich aber auch weitere, schwierige Fragen: Wie kann es gelingen, Frieden und Stabilität zu fördern, wenn eine Regierung an Korruption und Missmanagement festhält und echten politischen Reformwillen vermissen lässt? Warum hat die Ausbildung der Sicherheitskräfte nicht besser funktioniert? War es nicht ein großer Fehler, mit den brutalen Warlords zusammenzuarbeiten, und was wären die Alternativen gewesen?
Es ist vor diesem Hintergrund ein großes Versäumnis, dass die Bundesregierung sich weiter einer selbstkritischen Evaluation verweigert. Seit Jahren wird sie im Bundestag von verschiedenen Fraktionen eingefordert und ist für andere Nationen längst selbstverständlich. Es muss zu einer ehrlichen Debatte dazugehören, militärisches, aber auch ziviles Engagement kritisch, unabhängig und umfangreich auszuwerten. Denn nur so können wir wichtige Lehren für die Zukunft und für andere Einsätze ziehen.
Die Frage über Auslandseinsätze der Bundeswehr gehört zu den schwierigsten Gewissensentscheidungen, die Parlament und Regierung zu treffen haben. Leere Floskeln und Schönrednerei, aber genauso Ideologie und Ignoranz sind hier fehl am Platz. Deshalb diskutieren wir diese Fragen in der grünen Bundestagsfraktion intensiv und machen uns die Entscheidungen alles andere als einfach. Wir sagen weder blind ja, noch kategorisch nein. Wir ringen aus der Sache heraus bei jedem Einzelfall um die richtigen Antworten. Wir wissen, dass auch das Nichthandeln eine Verantwortung birgt und eine Reihe von Problemen schaffen kann. Wir müssen zugleich aber auch einen realistischen Blick für die Grenzen und die Risiken militärischen Engagements haben.