Was soll das, Herr Scholz?

Der Kanzlerkandidat der SPD sollte für ökonomische Vernunft stehen. Seine Pläne lassen diese vermissen

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PICTURE ALLIANCE/APA/PICTUREDESK.COM
Pläneschmied: Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat der SPD Olaf Scholz
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Pläneschmied: Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat der SPD Olaf Scholz

Was soll das, Herr Scholz?

Der Kanzlerkandidat der SPD sollte für ökonomische Vernunft stehen. Seine Pläne lassen diese vermissen

Was hat sich Bundesfinanzminister Olaf Scholz bloß dabei gedacht? Während sich Millionen Menschen in Deutschland – seien es nun kleine und mittlere Unternehmer, Selbstständige in allen Branchen, Kulturschaffende, aber auch unzählige Beschäftigte in vielen von der Corona-Pandemie betroffenen Branchen – Sorgen um die Zukunft ihrer Betriebe und ihrer Jobs machen, kündigt der Bundesfinanzminister mitten in der größten und längst nicht ausgestandenen Wirtschaftskrise unseres Landes Steuererhöhungen nach der Bundestagswahl im nächsten Jahr an. „Was erlauben Scholz?“ könnte man mit Giovanni Trapattoni fragen, doch die Sache ist weder spaßig noch der Lage unseres Landes angemessen.

Vor allem die wirtschaftliche Lage für sehr viele kleine und mittelständische Unternehmen ist nämlich inzwischen aufgrund der Pandemie mehr als kritisch. Sie kämpfen täglich um das Überleben ihrer Unternehmen – allzu häufig um ihr Lebenswerk. In meinem persönlichen Umfeld erlebe ich fast wöchentlich, dass Unternehmen schließen oder Insolvenz anmelden müssen – allein die seit 1. März 2020 ausgesetzte Insolvenzantragspflicht und der eingeschränkte Betrieb der Insolvenzgerichte führen dazu, dass es noch keine Insolvenzwelle bei uns gibt. Die wirkliche wirtschaftliche Krise schieben wir sozusagen vor uns her und hoffen, dass die Konjunktur im nächsten Jahr auf breitem Fundament so stark wieder anspringt, dass aus der befürchteten Insolvenzwelle kein Tsunami wird.

Der Satz fehlt in keiner Sonntagsrede eines Politikers: Das Rückgrat der deutschen Wirtschaft ist der Mittelstand. Und es stimmt: Wir, die kleinen und mittleren Unternehmer, die für jeden Kredit haften, sind diejenigen, die unser Wirtschaftssystem am Laufen halten. Die Vorstände großer DAX- oder MDAX-Unternehmen arbeiten nicht mit eigenem Geld. Doch bei diesen Unternehmen zeigt sich der Staat aktuell wenig knauserig, sie bekommen Staatshilfen, Zuschüsse und Kredite.

Wenn dann in einer solchen außergewöhnlichen wie unvergleichbaren wirtschaftlich-pandemischen Begleitkrise ein Bundesfinanzminister und gerade nominierter Kanzlerkandidat der SPD Steuererhöhungen für die Zeit nach der in einem Jahr stattfindenden Bundestagswahl ankündigt, dann stelle nicht nur ich mir Fragen, die allesamt auf der Hand liegen: nämlich die nach der ökonomischen Vernunft allgemein, der politischen Klugheit und schließlich der Gestaltungskompetenz für die Zukunft unseres Landes der Regierungspartei SPD und ihres Kandidaten für das Amt des Regierungschefs.

1. Wenn die Hälfte der Wirtschaft Psychologie ist, dann ist es schon per se eine große Torheit, mitten in der größten Wirtschaftskrise unseres Landes Steuererhöhungen anzukündigen. Dass die beiden SPD-Vorsitzenden diese Ankündigung schon vor Monaten in den Raum stellten, konnte man noch ignorieren, weil sie ja mit diesem „Programm“ an die Spitze ihrer Partei gewählt wurden – von Scholz als amtierendem Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidat der SPD habe ich anderes erwartet.

2. Damit bin ich aber an einem entscheidenden Punkt: Wer auch immer geglaubt hatte, mit einem Kanzlerkandidaten Scholz zöge nicht nur ökonomische Vernunft in die SPD ein, sondern auch ein personell attraktives Angebot an die ökonomische Mitte unseres Landes, der wendet sich verstört ab. Die SPD und ihr Kanzlerkandidat bemühen sich gar nicht mehr um die scheinbar „besserverdienende Mitte“ des Landes, sondern sehen sie allein als Objekt der finanzpolitischen Tagträumereien. Wie man so Wahlen gewinnen will, ist mir als langjährigem SPD-Mitglied ein Rätsel.

3. Mich treibt seit geraumer Zeit die Frage um, ob die politischen Parteien in Deutschland überhaupt noch eine Vorstellung von der Zukunft haben. Denn es ist doch klar, dass die Herausforderungen in den kommenden Jahrzehnten gewaltig sein werden. Ohne hier alle auch nur stichwortartig aufzuzählen, die ungeheure Summen verschlingen werden – neben den hunderte von Milliarden Euro schweren Vorsorgeaufwendungen der Vergangenheitslasten, die bereits rechtlich zugesagt sind (wie u. a. Renten, Pensionen, soziale Leistungen, Klimaschutz, Kohleausstiegskosten, langfristige Investitionen, steigende Verteidigungsausgaben, EU-Beiträge) –, sind die budgetären Pflicht-Ressortausgaben fast kaum noch zu kürzen. Das bedeutet aber, dass wir inzwischen strukturell erheblich mehr für den Erhalt des Alten statt für die Entwicklung des Neuen aufwenden. Diese Entwicklung bedroht die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.

Ein Blick zurück, wie es anders laufen könnte, sei erlaubt: In der ersten Großen Koalition unseres Landes – zwischen 1966 und 1969 – gab es mit Franz Josef Strauß und Karl Schiller als Finanz- und Wirtschaftsminister ein Tandem, das für Stabilität und Fortschritt stand. Genau ein solches Tandem würde ich mir heute für eine zukunftsorientierte Krisenbewältigungsstrategie wünschen. Eine Wirtschaftspolitik, die dem Mittelstand nachhaltig hilft, indem sie gemeinsam mit den Unternehmen aller Branchen gezielte Hilfen für ihre Rettung, aber auch Entwicklungsfelder für die Zukunft unseres Landes ohne parteipolitisches Gezänk und Kleinklein gestaltet: Ein Stabilitäts- und Fortschrittsprogramm müsste das Ziel sein – den Wahlkampf können die Matadore dann ab nächstem Frühjahr 2021 starten.

Stattdessen erleben wir schon jetzt einen Dauerwahlkampf der Parolen, in der die Ankündigung von Steuererhöhungen nach der Bundestagswahl die seltsamste Stilblüte eines Kanzlerkandidaten ist, von dem anderes erwartet wurde und wird. Wer sich in seiner politisch nach „links“ gerückten Partei als Kanzlerkandidat beliebt machen will, der darf das natürlich tun. Worauf er allerdings achten sollte, ist, bei allem Schaden, den die Wirtschaft derzeit aufgrund der Corona-Pandemie erleidet, nicht noch zusätzliche Lasten zum völlig falschen Zeitpunkt aufzutürmen. Mit Karl Schiller sage ich nur: „Genossen, lasst die Tassen im Schrank!“ Und zwar im Interesse unserer Unternehmen und des Wohlstands von Millionen Beschäftigten, der daran hängt.

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