Was wird aus Deutschland?

Internationale Erwartungen an die neue Regierung in Berlin

Bitte keine transatlantische Renaissance

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SHUTTERSTOCK.DE/KUNDRA (1)
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Was wird aus Deutschland?

Internationale Erwartungen an die neue Regierung in Berlin

Bitte keine transatlantische Renaissance

Von Fabian Kretschmer, Peking


Der chinesische Botschafter in Berlin kann bei heiklen Themen schon mal die diplomatischen Konventionen über Bord werfen. Wenn Wu Ken jedoch über die scheidende Kanzlerin spricht, dann lobt er sie in den höchsten Tönen: Angela Merkel sei bereit gewesen, „China mit einem offenen Geist kennenzulernen und zu verstehen“, sagte der Diplomat in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Xinhua.

Auch die für ihre nationalistischen Töne berüchtigten Staatsmedien blicken mit überaus nostalgischem Blick auf die 16 Jahre Merkel zurück. In den sozialen Medien posten sie regelmäßig Schnappschüsse von Merkels insgesamt zwölf Staatsbesuchen. „Kein anderer westlicher Staatschef hat China so oft besucht wie Merkel, sie hat fast im ganzen Land ihre Spuren hinterlassen“, schreibt Rita Bai, Reporterin der Global Times, auf ihrem Twitter-Account: „Nach ihrem Rücktritt dürften die chinesisch-deutschen Beziehungen höchstwahrscheinlich unter großen Unvorhersehbarkeiten leiden.“ Und das ist noch stark untertrieben: Tatsächlich können die bilateralen Beziehungen für die Volksrepublik künftig nur schlechter werden.

„Die Nervosität in Peking ist schon sehr groß“, sagt Jörg Wuttke, Präsident der Europäischen Handelskammer in der chinesischen Hauptstadt. Der gebürtige Heidelberger ist das, was man einen Old China Hand nennt: Mit Unterbrechungen lebt der Wirtschaftslobbyist bereits seit den frühen 1980er-Jahren im Land, trifft sich regelmäßig mit chinesischen Ministern und hat in seinem lichtdurchfluteten Büro mit Blick über Pekings Skyline gemeinsame Fotos mit Helmut Kohl und Gerhard Schröder ausgestellt. „Es gibt die Befürchtung, dass die neue Regierung unter Olaf Scholz etwa beim Thema Menschenrechte stärker auftritt“, sagt Wuttke: „Wenn sie mehr auf Werte ausgerichtet sein sollte, dann wäre das für China unangenehmer.“

Die Parteikader in Peking wünschen sich nämlich vor allem „Pragmatismus“ von den neuen Amtsträgern in Berlin. „Wir hoffen, dass beide Seiten die Offenheit wahren“, sagte Premierminister Li Keqiang Ende Oktober – und bezieht dies vor allem auf gemeinsame Lieferketten und Handelsbeziehungen.

Tatsächlich ist der Zugang zum chinesischen Markt von 1,4 Milliarden Menschen das sprichwörtliche Zuckerbrot, für das Peking im Gegenzug von anderen Staaten erwartet, sich nicht in „innere Angelegenheiten“ einzumischen: Bei Hongkong, Taiwan oder den Internierungslagern in der Region Xinjiang verbittet man sich sämtliche Kritik. Wer die „roten Linien“ der chinesischen Regierung nicht respektiert, muss mit wirtschaftlichen Vergeltungsmaßnahmen rechnen. Zuletzt haben dies auch immer wieder deutsche Unternehmen zu spüren bekommen: Adidas wurde etwa im Frühjahr Opfer einer staatlich orchestrierten Boykottkampagne, da das Unternehmen aufgrund von möglicher Zwangsarbeit keine Baumwolle mehr aus Xinjiang bezieht.

Die Urangst Pekings wäre es, wenn Deutschland – als letzter großen Partner im Westen – zunehmend den transatlantischen Schulterschluss mit Washington suchte. Die Regierung unter Merkel war schließlich bislang auch in Westeuropa eine der wenigen, die vor allem den Ausgleich mit Peking gesucht hat. Heikle Themen wie Menschenrechtsverbrechen hat die scheidende Bundeskanzlerin zwar durchaus angesprochen, aber eher im Hinterzimmer. Im Fokus standen vor allem die rasant gewachsenen Wirtschaftsbeziehungen.

Auf Weibo, Chinas führender Online-Plattform, betrauern die meisten User den Abschied der „großen Mutter Mo“, wie Merkel genannt wird. „Bundeskanzlerin Merkel ist ein Vorbild für die Beziehungen zu China“, meint ein Weibo-Nutzer. Ein anderer kommentiert: „Ich hoffe, Deutschlang bleibt nüchtern – und wird nicht von Amerika auf einen falschen Weg gebracht.“

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