Weiblich, ledig, jung wählt …

Genaue Befunde zur Stimmabgabe bei der Bundestagswahl 2021 – der Wahlstatistik sei Dank

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PICTURE ALLIANCE/IKON IMAGES | LUCIANO LOZANO
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PICTURE ALLIANCE/IKON IMAGES | LUCIANO LOZANO

Weiblich, ledig, jung wählt …

Genaue Befunde zur Stimmabgabe bei der Bundestagswahl 2021 – der Wahlstatistik sei Dank

Für die Union votierten bei der Bundestagswahl 2021 nur 10,8 Prozent der 18- bis 24-Jährigen (das entspricht einem Minus von 14,2 Punkten gegenüber 2017), jedoch 38,4 Prozent der über 70-Jährigen (ein Minus von 6,2 Punkten). Noch deutlich negativer sind die CDU-Ergebnisse in den neuen Bundesländern: Lediglich 6,9 Prozent der 18- bis 24-jährigen Männer gaben ihr die Stimme (ein Minus von 12,5). Ähnlich, wenngleich nicht derart krass, fällt der Befund für die SPD aus: Den 15,6 Prozent bei den 18- bis 24-Jährigen (ein Minus von 2,8 Punkten) stehen 34,2 Prozent bei den über 70-Jährigen gegenüber (das ist ein Plus von 9,0 Prozent gegenüber 2017).

Diese erstaunliche Diskrepanz zwischen den Altersgruppen bei ein und derselben Partei ist neu. Die Union und die SPD sind damit eine Partei der Alten. Woher stammen solche Erkenntnisse, zudem in dieser Genauigkeit?

Deutschland ist das einzige Land der Welt mit einer repräsentativen Wahlstatistik, und zwar schon seit der Bundestagswahl 1953. Sie ermittelt die Wahlbeteiligung sowie das Wahlverhalten nach Alter und Geschlecht, nicht das bekundete, sondern das tatsächliche. Da die Ergebnisse der amtlichen Wahlstatistik bis hin zur Landesebene erst Monate nach der Wahl vorliegen, findet diese Datenquelle nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdient hätte. Für die Bundestagswahl 2021 wurden von den rund 67 000 Urnenwahlbezirken 1844 Stichproben­wahlbezirke ausgewählt, von den 27 600 Briefwahl­bezirken 715. In diesen Stichproben­wahlbezirken erhalten die Wähler Stimmzettel mit Unterscheidungsaufdrucken, gesondert nach Geschlecht und sechs Alterskategorien: 18-24, 25-34, 35-44, 45-59, 60-69 und ab 70 Jahre. Die Wahlbeteiligung für das Geschlecht und zehn Altersgruppen erfolgt anhand der Wählerverzeichnisse. Das Wahlgeheimnis bleibt jeweils gewahrt.

Die Wahlbeteiligungsrate zwischen Männern (76,7 Prozent) und Frauen (76,5 Prozent) differiert kaum noch. Und auch die Unterschiede nach Altersgruppen sind stark eingeebnet worden (niedrigster Wert bei den 18- bis 24-Jährigen mit 69,8 Prozent, höchster Wert bei den 50- bis 59-Jährigen mit 78,9 Prozent). Die Wahlbeteiligung steigt kontinuierlich bis zur Gruppe der 50- bis 59-Jährigen (die der Frauen liegt dort stets höher), ehe sie zurückgeht, zunächst schwach, dann stark. Das gilt vor allem für die ab 70-jährigen Frauen, die, oft alleinstehend, schwächeres gesellschaftliches Interesse zeigen.

Steigerten die Liberalen ihren Anteil bei den 18- bis 24-Jährigen um 7,3 Punkte und bei den 25- bis 34-Jährigen um 3,5 Punkte (bei den ab 60-Jährigen büßten sie hingegen 1,8 Punkte ein), übertrumpften die Grünen ihr Ergebnis von 2017 noch stärker: bei den 18- bis 24-Jährigen um 9,4 Punkte, bei den 25- bis 34-Jährigen um 11,8 Punkte. Das vehemente Plädoyer für Digitalisierung in dem einen und für Klimapolitik in dem anderen Fall dürfte zu den Erfolgen beigetragen haben.

Nahmen die Stimmenanteile für die Grünen und die Liberalen von Altersgruppe zu Altersgruppe deutlich ab, ist es bei Union und SPD geradezu umgekehrt. Die Linke weist ebenso eher einen jüngeren Zuschnitt im Elektorat auf, während die AfD in der jüngsten und der ältesten Altersgruppe betont schlecht abschneidet, vielleicht deshalb, weil hier die Konkurrenz durch Migranten im Beruf keine Rolle spielt. Das Alter ist angesichts der drastischen Spreizungen zwischen den Jungen und den Alten innerhalb der Parteien damit, anders als früher, ein wichtiger wahldeterminierender Faktor.

Die Grünen sind mit ihrer Präferenz für weiche Themen klar eine „Frauenpartei“ (16,0 zu 13,5 Prozent), dennoch nicht mehr derart deutlich wie zuletzt, der Baerbock-Effekt schlug demnach keineswegs durch. Die Liberalen sind noch klarer eine „Männerpartei“ (12,8 zu 10,2 Prozent). Die Union (24,8 zu 23,3 Prozent) und die SPD (26,9 zu 24,5 Prozent) schneiden bei den Frauen etwas besser ab, wobei die Union hier 11,6 Punkte einbüßte und damit doppelt so viel wie bei den Männern. Offenbar sprach Armin Laschet die weibliche Wählerschaft weniger an als Angela Merkel – und bei der SPD Scholz mehr als Schulz – die SPD legte bei den Frauen 6,4 Punkte zu, bei den Männern „bloß“ 4,0. Der klaren „Männerpartei“ AfD (13,0 zu 7,8 Prozent) steht die dort nur schwach überrepräsentierte Die Linke (5,0 zu 4,8 Prozent) gegenüber. In beiden Fällen sank die Männerdominanz. Männer bevorzugen seit jeher als radikal wahrgenommene Parteien.

Die Extremwerte bei den Parteien nach Alter, Geschlecht und Wahlgebiet liegen weit auseinander: Bei den Grünen und den Liberalen, zwei „Westparteien“, gibt es erstaunliche Parallelen beim Alter. Votierten 29,1 Prozent der 18- bis 24-jährigen Männer in den alten Bundesländern für die Grünen, aber nur 3,3 Prozent der über 70-jährigen Frauen in den neuen, stimmten 26,8 Prozent der 18- bis 24-jährigen Männer in den alten Bundesländern für die FDP, doch lediglich 4,9 Prozent der ostdeutschen Männer über 70. AfD und Die Linke haben ihre Schwerpunkte im unzufriedeneren Osten. Wählten 13,2 Prozent der ostdeutschen 18- bis 24-jährigen Frauen Die Linke, galt dies bloß für 1,3 Prozent der westdeutschen über 70-jährigen Frauen. Stimmten 31,6 Prozent der 45- bis 59-jährigen ostdeutschen Männer für die AfD, waren es nur 3,3 Prozent der über 70-jährigen Frauen im Westen. Das Resümee für die beiden Noch-Volksparteien fällt ähnlich aus, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Sie sind im Westen, bei den Frauen (leicht) und den Alten (stark) überrepräsentiert, wie erwähnt. Die Hochburg der Union bildet die Gruppe der ab 70-jährigen westdeutschen Frauen mit 43,0 Prozent, die 18- bis 24-jährigen Männer im Osten des Landes haben mit 6,8 Prozent eine Art Diaspora-Status. Für die SPD gilt analog: Sie ist am stärksten bei den ab 70-jährigen Frauen im Westen (33,4 Prozent) und am schwächsten bei den ostdeutschen 18- bis 24-jährigen Männern (11,9 Prozent).

Die repräsentative Wahlstatistik ermöglicht auch Angaben über die Wähler, die vom Stimmensplitting Gebrauch gemacht haben. Diesmal ging dieser Anteil von 27,3 auf 24,9 Prozent zurück, wohl aus zwei Gründen: Zum einen ist mittlerweile die Möglichkeit von ausgleichslosen Überhangmandaten durch Stimmensplitting verbaut, zum anderen besitzen wegen des stark fragmentierten Parteiensystems nunmehr auch Kandidaten kleinerer Parteien die Chance auf ein Direktmandat. Vor allem deren Wähler splitten: So gaben von den FDP-Zweitstimmenwählern nur 55,3 Prozent auch ihre Erststimme dem eigenen Kandidaten und von den Grünen-Zweitstimmenwählern 69,3 Prozent.

Wie diese und weitere Angaben erhellen, etwa zu Urnen- und Briefwählern, stellt die repräsentative Wahlstatistik, die ihrem Namen alle Ehre macht, eine wahre Fundgrube für die Wissenschaft und die Politik dar. Bei einem alterstypischen Wahlverhalten müssen Union und SPD sich weniger Gedanken machen, zumal die Gruppe der 18- bis 24-Jährigen nur 7,5 Prozent der Wähler umfasst. Sollten generations­spezifische Faktoren hinfort eine gewisse Rolle spielen, wäre das für sie ein Alarmzeichen, für die Grünen und für die Liberalen ein Grund zum Frohlocken.

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