Weil am Ende alle etwas davon haben

Nicht nur beim Impfen liegt Deutschland zurück. Unvornehme politische Zurückhaltung erschwert auch die Organspende

12
12
PICTURE ALLIANCE/SHOTSHOP | BIRGIT REITZ-HOFMANN
12
12
PICTURE ALLIANCE/SHOTSHOP | BIRGIT REITZ-HOFMANN

Weil am Ende alle etwas davon haben

Nicht nur beim Impfen liegt Deutschland zurück. Unvornehme politische Zurückhaltung erschwert auch die Organspende

Wir reiben uns die Augen: Schon wieder keine Weihnachtsmärkte? Neue Welle? Neue Variante? Alles ähnlich wie vor einem Jahr.

Der Unterschied ist nur: die Impfung stand vor einem Jahr noch nicht zur Verfügung. Inzwischen haben wir 2G, 2G+, 3G. Allerdings bleiben die Formeln gegen die Pandemie oft leere Versprechungen, da der politische Zweckoptimismus, der ausgerichtet war auf ein schnelles Überwinden der Pandemie, leider nicht genug bewirken konnte gegen die Hartnäckigkeit des Virus.

Warum Bund und Länder so lange eine Impfpflicht ausschlossen? Man kann nur den Kopf schütteln. Bei den Masern gibt es sie faktisch auch. Verlust von Freiheit, rufen die einen. Dass man die zum Wohle aller einschränken kann, hat gerade das Bundesverfassungsgericht bestätigt, indem es die Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen der „Bundesnotbremse“ billigte.

Umgekehrt beobachten wir dagegen, dass immer dann, wenn die Regierenden zögern, klare Signale zu setzen, das Misstrauen bei Bürgerinnen und Bürgern wächst. So ist es nicht nur beim Impfen, sondern auch bei einem anderen Thema aus dem Bereich Gesundheit: bei der Organspende. Dort ist Triage unter den Wartepatienten längst brutaler Alltag – doch was macht die Politik?

Statt sich zur Lebensrettung durch Organspende zu bekennen, sind staatliche Stellen angewiesen, nur „neutral aufzuklären“. Weil man wie beim Impfen keinen moralischen Druck ausüben möchte? Den scheut man bei anderen Themen und Lebensbereichen dafür weniger, etwa beim Umwelt- und Klimaschutz. Dort heißt es aus guten Gründen ja auch nicht: So, das war die Aufklärung, entscheidet selbst, was ihr damit macht.

Beim Thema Organspende jedenfalls führt die staatliche Indifferenz dazu, dass nirgendwo Menschen so lange auf ein rettendes Organ warten wie in Deutschland. Anders in Spanien. Das schwer von der Pandemie geschüttelte Land ist nicht nur beim Impfen Vorreiter, sondern auch bei der Organspende-Bereitschaft.

Eine Regierung, auch unsere neue Ampelkoalition, setzt Normen und folgt Werten, die dann im Koalitionsvertrag zu (mehr oder minder) konkreten politischen Maßnahmen formuliert werden: bei der Klima- und Energiepolitik, beim Wohnen und Mieten, bei Gleichstellung, Erhöhung des Mindestlohns, Partizipation und Migration. Im politischen Vollzug läuft dann selten alles rund: Zuständigkeiten werden hin- und hergeschoben, vieles ist zu komplex, Prozesse dauern zu lange, sind zu bürokratisch oder gar widersprüchlich.

Der neuen Ampelregierung geben wir jetzt, wie es heißt, den benefit of the doubt. Auf Deutsch: Zeigt mal, was ihr könnt. Doch gerade, wenn die politische Leistungsschau auf sich warten lässt, bleibt es Aufgabe der Zivilgesellschaft, bürgerschaftliches Engagement auch jenseits politischer Richtungsänderungen voranzubringen. Jeder und jede Einzelne ist aufgerufen, sich verantwortlich zu verhalten, weil am Ende alle etwas davon haben.

Schon morgen könnte ich selbst, mein Kind oder der kranke Vater angewiesen sein auf die Empathie und das Verantwortungsgefühl der anderen.

Sich daran zu erinnern, ist sicher eine gute Idee. Zumal kurz vor Weihnachten.

Weitere Artikel dieser Ausgabe