Wertedialoge

Berlin muss zur Kenntnis nehmen, dass die israelischen und deutschen Interessen nicht deckungsgleich sind

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PICTURE ALLIANCE/DPA | PHILIPP ZNIDAR
Rotes Band der Sympathie? Giorgia Meloni und Olaf Scholz in Berlin Anfang Februar.
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PICTURE ALLIANCE/DPA | PHILIPP ZNIDAR
Rotes Band der Sympathie? Giorgia Meloni und Olaf Scholz in Berlin Anfang Februar.

Wertedialoge

Berlin muss zur Kenntnis nehmen, dass die israelischen und deutschen Interessen nicht deckungsgleich sind

Zwei Tage vor dem Treffen zwischen Giorgia Meloni und Olaf Scholz in der vergangenen Woche erschien in der regierungsnahen israelischen Zeitung Israel Heute ein Artikel, in dem die neue israelische Regierung aufgerufen wurde, sich um die Wiederaufnahme der deutsch-israelischen Regierungskonsultationen zu bemühen. Gerade die israelische Rechte, hieß es dort, solle den direkten Kontakt zur deutschen Regierung anstreben und dabei „die verzerrenden Filter der israelischen und deutschen Medien umgehen“, die angeblich ein falsches Bild von Israels Politik abgeben. Wenn Scholz die Neofaschistin Meloni empfangen kann, so mögen die Befürworter des im Artikel empfohlenen Vorstoßes sich gedacht haben, ist auch ein gemeinsames Treffen der deutschen Minister nicht nur mit Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, sondern auch mit dem rechtsradikalen Minister Bezalel Smotrich oder Itamar Ben-Gvir nicht mehr auszuschließen. Man erwartet also, dass es auch gegen die Teilnahme dieser rassistischen Minister aus der „Partei des religiösen Zionismus“, obwohl viel radikaler als die „Fratelli d’Italia“, keine deutschen Bedenken geben wird.

Diese Erwartung kommt nicht von ungefähr: Seitdem Angela Merkel 2008 die Sicherheit Israels zur deutschen Staatsräson aufgewertet hatte, ohne aber auf den eigentlichen Inhalt dieser Parole einzugehen, erwartet Israel eine quasi automatische Zustimmung zu allem, was seine Regierung unter Sicherheit versteht. Seit langem steht also die Frage im Raum: Wie ehrlich ist die in Deutschland geführte Diskussion über die israelische Politik? Schaut das offizielle Deutschland nicht im Endeffekt vom Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern wie auch vom Erosionsprozess der israelischen Demokratie weg, um eine Konfliktsituation zu meiden? Ist die Angst vor der „Antisemitismus­keule“ letztendlich größer als die Macht der so oft heraufbeschworenen werteorientierte Politik Deutschlands?

Die deutsche Politik verwendet noch immer das Mantra von der Zweistaaten-Lösung, sieht aber seit Jahren zu, wie diese Lösung von Israel untergraben wird. Der Ausbau der Siedlungen in den besetzten palästinensischen Gebieten geht ja systematisch weiter, der Oslo-Prozess, der vor 30 Jahren begonnen hat, liegt im Sterben. Die Israelis wissen Bescheid – auf die deutsche Beteuerung der Unterstützung für die Zweistaaten-Lösung folgen keine Taten. Während die Hunde leise bellen, kann die Karawane weiterziehen. Eine schleichende Annexion setzt sich fort.

Von Deutschland wird aus israelischer Sicht eine besondere zurückhaltende Reaktion erwartet (sprich: keine Kritik) „wegen der Vergangenheit“, die die Antisemitismuskeule besonders schwer wiegen lässt. Und doch, da in Israel nun eine rechtsradikale Regierung entstand, die die Zweistaaten-Lösung offen ablehnt und Groß-Israel als Ziel hat – kann Deutschland eine Weiter-so-Politik betreiben und mit dem israelischen Rechtsradikalismus gemeinsame Sache machen? Wird die Diskrepanz zwischen Deutschlands proklamierter Verantwortung gegenüber Israel und einer Weiter-so-Taktik in der gegenwärtigen Situation nicht überstrapaziert?

Dass realpolitische Interessen in der internationalen Politik den Vorrang vor Werten haben, überrascht auch in diesem Fall nicht. Die Energiekrise hat diese Maxime nicht nur für die deutsche Außenpolitik und nicht allein beim Thema Israel unterstrichen. Israels Geheimdienstquellen, Israels Waffensysteme (Drohnen, Luftabwehrraketen) und Israels Vorteile im Hightech-Bereich lassen die Frage um die Werte der liberalen Demokratie, für die die deutsche Außenpolitik stehen sollte, in den Hintergrund rücken. Doch gerade vor dem Hintergrund der von der grünen Außenministerin Annalena Baerbock heraufbeschworenen werteorientierten Außenpolitik einerseits und der rechtsradikalen, antiliberalen Politik der neuen Netanyahu-Regierung anderseits ist das Weiter-So absurd: Von der Erinnerung an die Shoah motiviert, bemüht sich die deutsche Politik um die bedingungslose Unterstützung Israels, was nun beim Weiter-So der Zusammenarbeit mit einer Regierung gleichkommt, die vorhat, das demokratische System in Israel auszuhöhlen. Die neue israelische Regierung ist bemüht, die Grundpfeiler der Demokratie – eine unabhängige Justiz, die Abwehr der Tyrannei der Mehrheit, die Meinungsfreiheit, ein unzensiertes öffentlich-rechtliches Fernsehsystem etc. – abzusägen und ein System zu schaffen, dass dem ähnelt, das mittlerweile in Ungarn existiert. Ist die Unterstützung einer solchen Regierung mit den Grundwerten der Bundesrepublik kompatibel?

Da Israel kein Mitglied der EU ist, sind Maßnahmen, zu denen die EU im polnischen und ungarischen Fall greift, nicht möglich. Was aber auch Deutschland tun könnte, wäre, sich Antony Blinkens Hinweisen in der Pressekonferenz mit Netanyahu über die Grundwerte der Demokratie oder Emmanuel Macrons Warnung an Netanyahu anzuschließen: Die von der israelischen Regierung geplante Justizreform, so Macron, wäre als Signal für den Rückzug Israels aus der europäischen Wertegemeinschaft und ihrer Auffassung von Demokratie zu deuten. Der US-Außenminister und der französische Präsident haben den Ton bestimmt, und Scholz, der in Sachen Ukraine immer nach Washington (und gelegentlich nach Paris) schaut, könnte sich auch in diesem Fall seinen beiden Vorbildern anschließen.

Noch immer greift Deutschland zu dem Mantra Zweistaaten-Lösung, zwei gleichberechtigte Staaten auf der Grundlage des internationalen Rechts, statt die rechtwidrige Besatzung des Westjordanlands und die damit verbundene Siedlungspolitik fortzusetzen. Sollte sich jedoch bei einer möglichen deutsch-israelischen Regierungskonsultation die israelische Ausgangsposition durchsetzen, wonach es keine besetzten palästinensischen Gebiete gibt und die Gesamtbevölkerung zwischen Mittelmeer und Jordan unter einer gemeinsamen Regierung leben sollte, müsste Deutschland als Mitglied der europäischen Wertegemeinschaft darauf bestehen, dass alle Bewohner dieses Staates gleiche Bürgerrechte erhalten und die jüdische Bevölkerung nicht den Status einer bevorzugten Menschengruppe erhält.

Als Mitglied der Europäischen Union, und erst recht vor dem Hintergrund der Erinnerung an das nationalsozialistische Unrechtregime, darf Deutschland sich durch den Antisemitismusvorwurf nicht einschüchtern lassen, der dann von Seiten der rechtsradikalen israelischen Regierung zu erwarten ist. Deutschland nach 1945 kann einen autoritären Staat nicht gutheißen, auch wenn er Israel heißt. Was feststeht, ist die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen den Interessen Deutschlands und Israels. Das müsste auch die deutsche Politik endlich zur Kenntnis nehmen.

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