Editorial des Verlegers
Editorial des Verlegers
Liebe Leserinnen und Leser,
kein Shutdown der Aufmerksamkeit für die Krisen jenseits von Corona! Ramona Lenz, so sachlich beschreibende wie unermüdliche Mahnerin im besten Sinne, berichtet in diesem Hauptstadtbrief am Samstag von den globalen Krisen, die ins Hintertreffen der medialen Öffentlichkeit getreten sind, aber an Dringlichkeit nicht etwa verloren hätten.
Lenz, die für die Frankfurter Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international arbeitet, spart nicht mit Kritik: „Wenn Deutschland und die EU es ernst meinen mit der Minderung von Fluchtursachen, müssen sie die demokratischen Kräfte in Herkunftsländern wie Mali und Sudan unterstützen und nicht diejenigen, die sie unterdrücken.“ Man muss nicht von umstürzlerischer oder wohlfeil verleumdeter „gutmenschenhafter“ Gesinnung sein, um in der Politik der EU gegenüber autokratischen Herrschern in Nord- und Ostafrika einen systematischen Webfehler zu erkennen. Das Thema sollte auch nicht auf Wiedervorlage gelegt werden; wegen Corona können ohne größeren Schaden Parteitage verlegt werden, um den Schutz von Menschenrechten muss man sich hingegen zu allen Zeiten bemühen.
Eben jene Absage eines Parteitags war der Aufhänger für Friedrich Merz‘ jüngste Wutrede. Thomas Biebricher, unser Spezialist für die Ideengeschichte der Union und Autor von „Geistig-moralische Wende. Die Erschöpfung des deutschen Konservatismus“ (Matthes & Seitz), greift in diesem Hauptstadtbrief in eleganter Manier zurück in die Zeit eben jenes von Helmut Kohl anvisierten neuen gesellschaftlichen Kurses der 1980er-Jahre – als deren letzten Abkömmling er Friedrich Merz sieht.
Biebrichers Beitrag ist eine pointenreiche Bestandsaufnahme des Zustandes der Union, nicht zuletzt dank seines an britische Historiker erinnerndes kontrafaktisches Gedankenspiel: „Man stelle sich nur vor, wie anders die Situation der CDU heute wäre, hätte AKK seinerzeit nur etwas weniger Rückgrat und etwas mehr Willen zum Aussitzen bewiesen: Von Thüringen sprach schon Wochen später niemand mehr in der anbrechenden Corona-Ära, die Partei hätte sich angesichts der dramatischen Krise in guter CDU-Manier fest geschlossen hinter ihrer Vorsitzenden versammelt, und die zukünftige Kanzlerschaft wäre ihr kaum zu nehmen gewesen.“
Mit herzlichen Grüßen verbleibe ich – bis morgen
Ihr Detlef Prinz