Pandemische Baupolitik, Klimawandel, Infrastrukturdebatte – wie sich unsere Städte verändern müssen
Pandemische Baupolitik, Klimawandel, Infrastrukturdebatte – wie sich unsere Städte verändern müssen
Hatten die Pest, die Syphilis, die Pocken, die Malaria oder das Gelbfieber seit der Katastrophe von 1348 den Totalumbau der europäischen, chinesischen oder arabischen Städte zur Folge, die sie bis ins 19. Jahrhundert auch in Friedenszeiten verheerten? Wer die Geschichte des Städtebaus betrachtet, wird – angesichts der aktuellen Debatten um die Folgen von Covid-19 möglicherweise erstaunt – feststellen: All diese Epidemien hatten trotz ihrer Millionen Opfer bis Mitte des 19. Jahrhunderts praktisch keine städtebaulichen Folgen. Allenfalls die Entdeckung des Landes als scheinbar seuchensichere Idylle durch Adlige und wohlhabende Stadtbürger könnte man anführen: Noch die aktuelle Einfamilienhausdebatte lebt vom Mythos individueller Freiheit und Sicherheit vor der gesundheitsfeindlichen Stadt, der um 1800 geprägt wurde.
Die Städte selbst aber blieben all diese Jahrhunderte aus hygienehistorischer Sicht auffällig unverändert. Auch die breiten Achsen, die seit dem 17. Jahrhundert in den Stadtkörper von Rom, seit 1800 und dann wieder seit den 1850ern in den von Paris geschlagen wurden, waren vornehmlich ästhetischer und militärpolitischer Natur. Nur nebensächlich sollten sie auch die Gesundheit in den dichtbevölkerten, quirligen Vierteln verbessern, „gute Winde“ in alle Ecken und Häuser treiben, um die „Miasmen“, die „schlechten Dämpfe“, zu vertreiben. Diese nämlich seien verantwortlich für Krankheiten, darüber waren sich die westliche und die islamische Welt im Anschluss an die griechische und römische Antike einig.
Noch wichtiger als Schönheit und Gesundheit aber war, dass die Geometrie des Rasters das städtebauliche Markenzeichen europäischer Machtausdehnung im Zeitalter des Kolonialismus und des barocken Rationalismus schlechthin war. Das zeigen Grundrisse von Städten wie Manila, Lima oder Philadelphia, die Anlage der Neustadt von Edinburgh oder die der Berliner Friedrichstadt. Der straffe Plan demonstrierte die Beherrschung der Welt, die Unterwerfung der Natur, die rationale Kontrolle der menschlichen Unzulänglichkeiten.
Doch erst, als Viren und Bakterien als eigentliche Ursachen von Krankheiten in der Mitte des 19. Jahrhunderts entdeckt wurden und damit eine systematische Vorsorge und Bekämpfung von Krankheitswirkungen möglich war, wurden auch die Städte Europas, Nordamerikas und bald auch Ostasiens umgebaut. Die Straßen wurden breiter, Grünanlagen zum Kernbestand städtischer Planung, Hospitäler entwickelten sich zu wissenschaftlichen Krankenhäusern, die Bebauungsdichte wurde limitiert, Fabriken aus den Hinterhöfen verbannt. Vor allem aber waren die systematische Abfallentsorgung sowie die Trennung von Frisch- und Abwasserversorgung zentral: Wohnungen erhielten nun fließend Wasser und damit die Möglichkeit, „Water Closets“ einzubauen, ausreichend die Kleidung wie sich selbst zu waschen, die Wohnungen gründlich zu reinigen. Dazu kam die Senkung der Bewohnerzahl, sodass statistisch pro Raum maximal zwei Personen gerechnet werden können.
Dabei ging es viel weniger um mildtätige Fürsorge für den Mittelstand und die Armen als vielmehr um die Absicherung der Wohlhabenden und Mächtigen: Sie mussten mit zunehmendem Fortschritt der Seuchenlehre lernen, dass sie keineswegs gefeit waren gegen Viren und Bakterien, wenn die Umgebung krank war. Auch zeigte sich, dass eine gute Wohnungsversorgung eines der relativ billigsten Mittel ist, um Revolten und Revolutionen vorzubeugen. Es lohnte sich also, auch den Armen – die in all den Jahrhunderten zuvor bestenfalls sozial disziplinierende Armen- und Arbeitshäuser als Angebot hatten – bessere Lebensbedingungen zu garantieren.
Dies ist der historische Hintergrund, warum die aktuellen Debatten, ob sich unsere Städte und die Architektur infolge von Covid-19 verändern werden, weitgehend in die Irre führen: In Europa, Nordamerika, Ostasien sowie weiten Teilen Südamerikas und Indiens sind die Städte und die Hauspläne schon seit einem Jahrhundert nach seuchenhygienischen Gesichtspunkten um- und neugebaut worden. Auch in Afrika, Südamerika oder Indien hat dieser Umbau längst begonnen, auch wenn sich dort noch viel Hilfe lohnt – wieder nicht aus Mildtätigkeit, sondern aus Selbstschutz.
Doch insgesamt hat Covid-19 bisher vor allem eines gezeigt: Das große Thema der urbanistischen Zukunft ist weiter der Klimawandel, ist der „ökologische Stadtumbau“, wie ihn Planer schon in den 1980er-Jahren vehement forderten. Amsterdam, Kopenhagen, London, New York und vor allem die West-Berliner Internationale Bauausstellung fingen damals an, mit neuen, ökologisch verantwortbaren Baumaterialien und -konstruktionen zu experimentieren, den Bestand sorgsam und sozial abgefedert zu sanieren, damit die Menschen nicht mehr in Vorstadtsiedlungen ausweichen, sobald sie es zu etwas Wohlstand bringen. Es wurde gestritten, wie man den Klein- und Mittelstädten neben den Metropolen eigenständige Entwicklungschancen gibt, wie die Straßenbahn zu rehabilitieren sei, wie der Autoverkehr die Städte zerstört. Hinterhöfe wurden begrünt und Dächer zu Spiellandschaften umgebaut, Fabrikgelände umgenutzt, aber gleichzeitig Flächen für sauberes Handwerk und Ateliers geschaffen.
Wer heute von den Potentialen spricht, die sich auf Garagen- und Supermarktflächen bieten, sehe sich die Planungen der 1980er-Jahre an.
Zerschlagen wurde die Euphorie nach nur wenigen Jahren von der neoliberalen Revolution, die solche Experimente als marktfern ablehnte – was sie damals auch waren. Drei Jahrzehnte beherrschte dann die Debatte, ob nun nachgebaute Schlossfassaden oder rasante Hadid-Kurven, spitzzackiger Libeskind oder Foster-High-Tech die Zukunft seien, nachgebauter Art déco oder coole Kisten. Und wieder setzten sich die Metropolen als Maßstab der Entwicklung durch – bis hin zu Entscheidungen, die kleinen Krankenhäuser auf dem Land abzubauen, die Post und die Polizei noch weiter zu zentralisieren, Kirchengemeinden zusammenzulegen, Bibliotheken vor allem als Onlinestationen zu betrachten, das Land als „Umland“ der Stadt.
Genau darum geht es nun: um den neuerlichen, den ökologischen Umbau unserer Städte, nun nicht mehr zu hygienisch akzeptablen Wohnorten, sondern zu Netzwerken, die in die Kreisläufe der Umwelt eingebaut sind.