Wunderwerk der Diplomatie

Was Michail Gorbatschow und Ronald Reagan für den Weltfrieden geleistet haben

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WDR
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Wunderwerk der Diplomatie

Was Michail Gorbatschow und Ronald Reagan für den Weltfrieden geleistet haben

Michail Gorbatschow begeht seinen 90. Geburtstag nicht im Zenit seines Ansehens, jedenfalls nicht in seinem eigenen Land. Der Mehrheit seiner Landsleute gilt er als der Totengräber der einstigen kommunistischen Supermacht Sowjetunion. Viele haben die demütigenden Umstände der Versorgungskrise nicht vergessen, die am Ende zum Markenzeichen der Sowjetunion wurden. Gorbatschow hat den Untergang seines Staates nicht gewollt. Im Gegenteil, mit seinen radikalen Reformen Perestroika (Umbau) und Glasnost (Transparenz) wollte er die Sowjetunion zu einem global wettbewerbsfähigen Staat entwickeln.

Er hat dabei seine Kräfte überschätzt. Dass dies nicht gelang, lag weniger an den sinnvollen Absichten seiner Politik, sondern am zähen Widerstand des alten Machtapparats.

Heute wirkt Michail Gorbatschow gesundheitlich angeschlagen. Seine hellwachen Augen strafen allerdings seine gebrechliche äußere Erscheinung Lügen. Vor zwei Jahren, als er 88 wurde, fragte ich mich besorgt, ob er noch lange die Kraft besitzen würde, sich in die aktuelle Politik einzubringen.

Aber ein Gorbatschow lässt nicht locker. Immer noch mischt er sich ein, wenn es im aktuellen Weltgeschehen zu Kontroversen kommt. Andere, frühere Größen der internationalen Politik sind längst vergessen, aber Gorbatschows Interventionen werden weiter von Medien und Öffentlichkeit geschätzt; vor allem, wenn es um Abrüstungsfragen geht.

Zornerfüllt reagierte Gorbatschow auf die Ankündigung von Washington unter Trump und Moskau unter Putin, das New-Start-Abkommen zur Verringerung der strategischen Waffen auslaufen zu lassen. Gorbatschow äußerte sich tief besorgt. Er sah ein hemmungsloses Wettrüsten voraus.

Der ehemalige sowjetische Präsident wusste, wovon er sprach. Zu Beginn seiner Amtszeit als Chef der allmächtigen kommunistischen Partei seines Landes drohte der Welt ebenfalls ein unaufhaltsames Wettrüsten zwischen den beiden Supermächten USA und UdSSR. Zusammen mit dem amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan gelang es Gorbatschow in mühevollen Verhandlungen, den Trend umzudrehen und ein umfassendes Abrüstungsabkommen (konventionell und nuklear) auszuhandeln. Zehntausende Raketen (Mittel- und Langstrecken), atomare Sprengköpfe, Panzer und Kanonen (allesamt Wunderwerke der Militärtechnologie) wurden verschrottet.

Seit Hiroshima und Nagasaki lebte die Menschheit – insbesondere im Kalten Krieg – in der ständigen Furcht, Opfer eines nuklearen Vernichtungskrieges zu werden. Mit ihrem historischen Abkommen haben Gorbatschow und Reagan den Menschen diese Urangst für einige Jahrzehnte genommen.

Was Gorbatschow und Reagan gemeinsam schafften, erscheint uns heute, da sich bereits kleine Interessenkonflikte als unlösbar erweisen, wie ein Wunderwerk der Diplomatie und Politik. Im Vergleich dazu schrumpfen Riesen der gegenwärtigen Weltpolitik zu Zwergen.

Wir Deutsche haben guten Grund, Gorbatschow nicht nur zu seinem 90. Geburtstag, sondern für immer dankbar zu sein. Ohne ihn wäre für uns die friedliche Wiedervereinigung unseres Landes immer noch ein ferner Traum.

Das Gleiche gilt für die Europäische Einheit. Ohne Gorbatschows bedingungslosem Prinzip der politischen Selbstbestimmung eines jeden Staates hätten unsere mittel- und osteuropäischen Nachbarn wie Tschechien, Slowakei, Ungarn und auch Polen kaum die Kraft besessen, den Sprung in die politische Freiheit und Unabhängigkeit zu wagen.

In seinen nur sechs Jahren an der Spitze der Sowjetunion hat Gorbatschow die Welt, wie kein anderer Politiker, zum Guten verändert. Das macht ihn zum herausragenden Politiker des 20. Jahrhunderts. Das bescheidene und menschenfreundliche Bauernkind aus Südrussland hat sehr viel gut gemacht, was die Mordgesellen Hitler und Stalin den Menschen in Europa angetan haben. Eine tröstliche Geschichte, die sich zum 90. Geburtstag eines verdienten Menschen gut erzählen lässt.

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