Zoom-Diplomatie

Was wird aus den deutsch-russischen Beziehungen in der Coronakrise?

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SHUTTERSTOCK/FRESH STOCK Fahnen
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Was wird aus den deutsch-russischen Beziehungen in der Coronakrise?

Der Satz, dass die Pandemie alle und alles gleich macht, wurde viel zitiert und schon oft widerlegt. Je nach sozialer Lage, Beruf oder Herkunft sind Menschen sehr unterschiedlich stark betroffen. Der Bundestag hat gerade die Milliardenhilfen der Bundesregierung gebilligt. Die Pandemie galt zu Beginn als „Stunde der Nationalstaaten“ und „Stunde der Exekutive“. Es wird jetzt eine wesentliche Aufgabe der deutschen EU-Ratspräsidentschaft sein, eine starke europäische Antwort zu geben.

Europa ist mehr, und zu Europa gehört geografisch und historisch auch Russland. Begegnungen zwischen Deutschen und Russen sind aber bis heute stark eingeschränkt. Mit den Folgen habe ich mich in der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft des Gesprächsforums „Petersburger Dialog“, der zentralen Plattform für den deutsch-russischen Austausch, ausführlich befasst. Gemeinsam mit Michail Fedotow, dem ehemaligen Vorsitzenden des russischen Menschenrechtsrats, hatte ich als Koordinator dieser Gruppe ins Sauerland eingeladen, um die Rechte von Gefängnisinsassen zu diskutieren. Doch seit Februar wurde im „Petersburger Dialog“ eine Veranstaltung nach der anderen abgesagt. Erst war es noch Vorsicht. Dann wurden die Grenzen geschlossen. Aber die Themen blieben, und sie wurden nicht weniger wichtig. Die Zivilgesellschaft ist in der deutsch-russischen Zusammenarbeit gewohnt, Hürden zu überwinden. Ergebnis mehrerer Videokonferenzen ist eine „Roadmap“, die den Weg durch die Coronakrise weist.

Die Pandemie stellt auch Menschenrechtsorganisationen vor ungewohnte Fragen. Plötzlich gelten weitreichende Beschränkungen, die, so heißt es im Dokument, „weit über das allgemein akzeptierte Gleichgewicht der Institutionen in einem demokratischen Rechtsstaat hinausgehen“. Dennoch waren sich deutsche und russische Vertreter einig: Es geht zunächst darum, alle Kräfte für den Kampf gegen die Pandemie zu mobilisieren und die Gesundheit aller Menschen zu schützen.

Hätte man sich vor einem halben Jahr vorstellen können, dass in Deutschland darüber diskutiert wird, ob man auf einer Parkbank ein Buch lesen darf, während in Russland Kritik an einer verfrühten Aufhebung von Ausgangssperren aufkommt? Dass die Zivilgesellschaft dem Staat bei Freiheitsbeschränkungen gar zur Seite springt, wenn radikale Kräfte ein „Abgleiten in eine Diktatur“ behaupten und so demokratische Entscheidungsprozesse in Frage stellen?

In der „Roadmap“ bezieht die Arbeitsgruppe des „Petersburger Dialogs“ selbst klar Position: Keinesfalls darf die Pandemie zu einer dauerhaften Einschränkung von demokratischen Rechten missbraucht werden. Unverändert werden vom Staat Transparenz und die Gewährung von Informations- und Pressefreiheit gefordert. Die Drohungen, die aus Tschetschenien gegen die russische Journalistin Jelena Milaschina geäußert wurden, werden ebenso verurteilt wie die Festnahmen anderer Journalisten und Blogger, die in Russland über die Pandemie berichteten.

Gleichzeitig stellen sich ganz neue Herausforderungen für die Menschenrechtsarbeit. Nicht überall ist es leicht, Abstandsgebote umzusetzen, etwa in überfüllten Gefängnissen. Risikogruppen müssen besonders geschützt werden. Der Einbruch der Wirtschaft bringt neue Bevölkerungsgruppen in Notlagen. Am stärksten trifft die materielle Not diejenigen, die ohnehin in ihren Möglichkeiten eingeschränkt sind, seien es Obdachlose, Opfer häuslicher Gewalt, Geflüchtete oder auch Bewohner von Kriegsgebieten. So ruft das Papier dringend zum Frieden im Donbass auf, aber auch zur Stärkung des Gesundheitssektors.

Es gilt, die Regierungen in die Pflicht zu nehmen und die internationale Zusammenarbeit zu vertiefen, auch etwa mit der Weltgesundheitsorganisation – ganz im Gegensatz zu den Aussagen des gegenwärtigen US-Präsidenten. Die Zivilgesellschaft sieht sich aber auch selbst in der Pflicht, Bedürftigen zu helfen und sich auf die neue Lage einzustellen.

Dabei sind gerade gemeinnützige Organisationen auf Finanzierung angewiesen. Diese droht in Zeiten der Wirtschaftskrise einzubrechen. Gerade in der Krise zeigt sich, welchen Schaden Gesetze anrichten, die die grenzüberschreitende Zusammenarbeit und Finanzierung beschränken.

Die Pandemie unterstreicht die Botschaft, die wir im „Petersburger Dialog“ immer wieder betonen. Bei allen Unterschieden sitzen wir alle in einem Boot. Das Ziel für diese Reise gibt die „Roadmap“ vor: ein gemeinsamer, demokratischer und rechtsstaatlicher Raum in Europa.

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